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Weltklasse-Bariton Thomas Hampson: “Ich bin keine singende Maschine”

Er ist vielseitig, singt Kunstlied und Oper. Und er zählt weltweit zu den bedeutendsten Vertretern seines Fachs. Mit dem Bariton Thomas Hampson, einem gebürtigen Amerikaner, sprach BZ-Redakteur Johannes Adam.

Der lyrische Bariton Thomas Hampson zählt international zu den bedeutendsten Vertretern seines Fachs. Das bevorstehende Konzert am Freitag in Basel war für BZ-Redakteur Johannes Adam Anlass, mit dem gebürtigen Amerikaner über Lied, Oper, Bayreuth, Mahler und mehr zu sprechen.

BZ: Herr Hampson, man redet hin und wieder von der Krise der Gesangskunst. Gibt es diese Krise tatsächlich?
Thomas Hampson: Es gibt vielleicht eine Krise, oder vielleicht ist es nur eine Veränderung. Ich denke aber nicht, dass dies allein für die Gesangskunst gilt. Ich glaube, dass die allgemeinen Wertvorstellungen von Kunst und Unterhaltung, besonders in den westlichen Ländern, in ziemliche Turbulenzen geraten sind. Es ist zu fragen, ob das, was ein Sänger macht, dem Hörer noch so tief in die Seele geht.

BZ: Sie singen Lied und Oper. Bereiten Sie sich auf einen Liederabend anders vor als auf eine Opernaufführung?
Hampson: Das ist ein ganz anderes Umfeld. Ich wähle da als Vergleich gern das Tennisspiel. Man spielt auf Rasen oder auf einem harten Platz – das Umfeld ist anders, aber man spielt immer Tennis. A priori ist Gesang Gesang. Was ich vermitteln will, ist dasselbe, ob es nun bei einem Opern- oder einem Liederabend ist. Lieder dringen vielleicht eher zum Innersten vor, bei der Oper verkörpere ich eher einen Teil einer größeren Erzählung. Identisch bleibt die Aufgabe, das hörbar zu machen, was Dichter, Librettist und Komponist gewollt haben.

BZ: Wie stehen Sie zum Regietheater?
Hampson (lacht): Was ist Regietheater?

BZ: Dass eben ein Regisseur eigenwillig und unkonventionell sagt: So und so machen wir das und dabei eine Oper – womöglich gegen die Musik – auch mal völlig auf den Kopf stellt.
Hampson: Ich glaube nicht, dass Vertreter des Regietheaters gern hören, dass sich ihr Tun gegen die Musik richtet. Ich kann nicht sagen, ob ich Regietheater mag oder nicht. Wichtig ist mir, dass die Geschichte erzählt wird, dass die Musik von Zimmermann oder Henze, von Mozart oder Wagner verstanden und respektiert wird. Ich glaube nicht, dass ein Regisseur das Recht hat, seine eigene Geschichte zu erzählen auf Kosten dessen, was in der Partitur steht. Aber da finde ich mich nicht im Widerspruch zum Regietheater, sondern im Widerspruch zum schlechten Theater. Wir leben in einer Produktionswelt. Die Gespräche des Regisseurs mit den Sängern sind wahnsinnig wichtig, weil wir seine Vorstellungen verkörpern müssen. Das ist für mich Ensemblearbeit. Daher sage ich: Jedes Opernhaus der Welt muss ein Ensembletheater sein, sonst hat die Gattung Oper keine Berechtigung.

BZ: Regelmäßig widmen Sie sich dem Kunstlied. Wie würden Sie es definieren?
Hampson: Das ist eine sehr wichtige Frage. Lieder gibt es jede Menge. In Amerika sagen wir zu dem, wovon ich spreche, classic song. Was ich meine, ist dies: ein Gedicht, das in seiner ganzen Metaphernwelt ins Gespräch kommt mit einer musikalischen Sprache, die dieses Gedicht geprägt hat. Und dass Gedicht und Musik in einen Dialog miteinander treten, so dass es nicht mehr ein Gedicht oder nicht mehr nur Musik ist. Es ist eine eigene Kunstform. Das ist für mich classic song.

“Ich mag Figuren, die einen fatalen Fehler haben.”

BZ: Warum hat es das Lied im heutigen Konzertbetrieb eher schwer?
Hampson: Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es der allgemeine gesellschaftliche Umschwung. Das ist leichter auf Deutsch zu besprechen, weil das Wort Bildung nicht übersetzbar ist. Wir sind gerade in den westlichen Nationen an einem Punkt, wo gefragt wird: Ist ein klassisches Konzert wichtiger als eines mit Popmusik? Diese Fragen müssen wir in der Gesellschaft miteinander diskutieren. Ich schaue die Nachrichten an und lese Shakespeare. Wir müssen, auch technologisch, Brücken zur Hochkultur bauen.

BZ: Oft hört man die gängigen Liederzyklen – von Schuberts “Winterreise” bis zu Schumanns “Dichterliebe” und “Liederkreis”. Weshalb sind die Sänger so wenig wagemutig?
Hampson: Während meiner ganzen Karriere beobachte ich, dass das Repertoire Jahr für Jahr immer weiter eingeschränkt wird. Die Frage ist, ob jede Generation ein neues Publikum mit Interesse hervorbringt. Ich würde schon gern auch die anderen 624 Lieder von Schubert singen oder hören.

BZ: Sie haben viel Gustav Mahler gesungen. Was zeichnet für Sie den Liederkomponisten Mahler aus?
Hampson: Eine sehr interessante Frage. Mahler greift am Ende des 19. Jahrhunderts aufs frühe 19. Jahrhundert von “Des Knaben Wunderhorn” zurück. Er erläutert in jedem Lied einen Kosmos von menschlichen Überlegungen, Neigungen, Instinkten, Erlebnissen. Für mich gibt es ein sehr intensives Gespräch zwischen Mahler und Schubert/Schumann in all seinen Liedern. Die Auseinandersetzung mit Leben und Transzendenz war für Mahler immer wichtig. Als Sänger ist Mahler für mich unerschöpflich.

BZ: Ihr Repertoire reicht, so könnte man sagen, von Bach bis ins 20. Jahrhundert. Haben Sie einen Lieblingskomponisten?
Hampson: Es reicht schon bis zum 21. Jahrhundert. Ein paar neue Werke sind bereits für mich geschrieben. Ich bin wahnsinnig privilegiert. Ich singe schon seit langem nur das, wo ich mich zu Hause fühle. Ich beschäftige mich nur mit dem, was mich sehr interessiert. Ich bin keine singende Maschine. Mein Lieblingskomponist ist der, den ich im Moment verkörpere oder singe. Mein Repertoire hatte immer einen Mahler-Akzent. Er ist ein Lieblingskomponist – unter einigen anderen.

BZ: Im Liszt-Jahr, am 23. März 2011, werden Sie in Bayreuth einen Liederabend mit Werken von Liszt und Mahler geben. In der dortigen Stadthalle. Bei den Bayreuther Wagner-Festspielen aber haben Sie bislang nicht gesungen. . .
Hampson: Ich würde wahnsinnig gern auf dem Grünen Hügel singen. Da gibt es für mich einige Rollen.

BZ: Mögen Sie die Musik Wagners?
Hampson: Sehr. Ich habe einige Wagner-Lieder aufgenommen. Ich bin durchaus ein Wagner-Fan. Ich hätte es sehr gern, dass ich ein Wotan wäre. Aber ich bin kein Wotan. Ein Hans Sachs würde mich interessieren. Ein lyrischer Bariton kann das schaffen.

BZ: Verdi, so erfährt man in einem Ihrer Interviews, verkörpere “im späten 19. Jahrhundert die Vollendung romantischer Zerrissenheit”. Was heißt das?
Hampson: Ich habe Figuren sehr gern, die einen fatalen Fehler haben. Oberste Priorität hat bei mir Verdi. Er schreibt in der Musik das, was in der menschlichen Seele an Zerrissenheit vorhanden ist. Verdi war beschäftigt damit, die großen Emotionen des Menschen in eine hörbare musikalische Sprache zu bringen. Zerrissenheit interessiert mich leidenschaftlich. Vielleicht habe ich das mit Mozarts Don Giovanni manchmal weit getragen. Giovanni ist eine kranke, zerrissene Person. Meine Generation hat schon sehr dazu beigetragen, vom Dramma giocoso die Komponente Dramma darzustellen. Eigenschaften von Don Giovanni sind in uns allen.

BZ: Bei ihrem Konzert in Basel mit der Württembergischen Philharmonie unter Ola Rudner singen Sie ein Programm mit Musik des 19. Jahrhunderts: Ambroise Thomas, Massenet, Tschaikowsky und Verdi. Gibt es da einen Zusammenhang?
Hampson: Alles ist spätes 19. Jahrhundert. Meine Absicht war – und das ist ein Glücksfall des Bariton-Repertoires –, große Momente zu zeigen. Es ist ein Konzert. Ich habe da ein anderes Publikum als vielleicht in einer “Ernani”-Vorstellung. In der zweiten Hälfte gibt es nur Verdi.

BZ: Was tun Sie eigentlich, wenn Sie nicht singen?
Hampson: Ich habe viele Hobbys. Ich habe vier Kinder in meiner Familie, die mittlerweile groß sind. Wir haben ein ausführliches Familienleben und reisen zu- und miteinander. Meine Frau und ich wandern gern. Ich bin ein leidenschaftlicher Golfspieler, seit meiner Kindheit. Ich sammle Bücher. Es wird nie langweilig.

Thomas Hampson 1955 in Elkhart, Indiana, geboren. Zum Repertoire des Baritons gehören zentrale Partien aus Opern von Mozart, Verdi, Wagner, Tschaikowsky und Richard Strauss. Im Liedbereich sucht er auch nach unbekannteren Werken. 2003 gründete der Sänger, der in Zürich und in den USA lebt, die Hampsong Foundation, die sich um Forschungsprojekte, Symposien, Meisterkurse und Gesprächskonzerte kümmert.

Das Konzert mit Thomas Hampson findet am Freitag, 10. Dezember, um 19.30 Uhr im Basler Stadtcasino statt. Karten unter  0900/800810 sowie im Netz unter www.postfinance.ch/ticket