“Vielleicht bin ich konservativ”
Das Interview: Starbariton Thomas Hampson über seinen Beruf, die deutschen Denker und das Regietheater
Er kommt nach Mannheim. Der Starbariton Thomas Hampson singt am Sonntag, 20. Juni, um 19.30 Uhr eine Gala im Nationaltheater, begleitet vom Hausorchester unter GMD Dan Ettinger. Wir stellten dem weltweit gefragten Sänger einige Fragen.
Fast jeden zweiten Tag stehen Sie irgendwo auf der Welt auf der Bühne. Sie singen Verdi in Wien, Mahler in Paris und bald singen Sie in Mannheim. Das klingt nach viel Arbeit …
Thomas Hampson: Ich bin neugierig – vielleicht liegt es an meiner Erziehung in Amerika! Ich möchte Antworten bekommen auf all meine Fragen. Nur zu singen, um meine Stimme zu präsentieren und damit Geld zu verdienen, fände ich widerlich. Mich interessieren die Dinge, die ich singe. Und Gott sei Dank gibt es eine Menge, was ich singen darf. Ich habe viel zu tun und plane etliche neue Projekte. Ich gebe zu, dass ich dabei ein überaus disziplinierter Mensch bin. Ich denke, je mehr Disziplin man hat, desto mehr kann man erreichen.
Wie stellt sich Ihre Stimme auf den permanenten Wechsel zwischen den Musikstilen ein?
Hampson: Ich denke, Gesang entsteht aus einer gewissen Sinnlichkeit heraus. Lassen Sie mich dazu ein banales Beispiel anführen: Auch ein Tennisspieler muss in einer Woche auf Sand spielen, in der nächsten auf Rasen und hat dabei unterschiedliche Erfolge. Denn der Platz bestimmt natürlich Geschwindigkeit, Spin, Abspringen des Balls vom Boden …
Wie würden Sie Ihre Stimme charakterisieren?
Hampson: Ich lehne diese ganzen Einordnungen nach Fächern ab! Ich halte es mit Leontyne Price, die sagte: “I am a juicy sopran”. Ich fühle mich als “saftiger” Bariton sehr wohl!
Warum eigentlich fasziniert sie das deutsche Lied so sehr?
Hampson: Ich als Amerikaner bin fassungslos darüber, dass nicht jedes deutsche Kind mit einem “Papa”-Gefühl für Goethe auf die Welt kommt. Das tut mir wirklich leid. Ich selbst habe so ein warmes, freundliches Gefühl für Goethe. Ich würde ihm die Hand geben, wäre sofort per Du mit ihm! Aber im ernst: Nehmen Sie Nietzsche, Goethe, Heine – die größten Denker unserer Zeit haben immer das größte Verständnis für den größten Blödsinn in der Menschheitsgeschichte bewiesen. Denn wir Menschen sind per se erst mal alle blöd. Wir tun zwar, was wir können, aber unsere Zukunftsperspektiven könnten noch besser werden. Unter anderem auch durch die Kunst.
Was denken Sie über die Kunst des modernen Regietheaters?
Hampson: Ich habe das Gefühl, dass besonders in Deutschland der Trend vorherrscht, Opern nur auf Kosten anderer aufzuführen, anstatt das jeweilige Stück so zu bringen, wie es geschrieben wurde. Ich bin der Meinung, jede Regie sollte zum Ursprung des Stückes zurückgehen. Ich finde es viel, viel spannender, sich in der Regiearbeit mit vergangenen Epochen auseinanderzusetzen, als die jeweiligen Stücke immer wieder auf modern zu trimmen und die Themen mit Gewalt in die heutige Zeit zu zerren. Denn das ist gefährlich und schadet meiner Meinung nach dem Stück. Wie soll der Zuschauer begreifen, in welchem Maße ein Librettist durch das, was er einst dem Sänger in den Mund legte, Tabuschwellen seiner Epoche überschritt, wenn das Stück aus seinem Kontext genommen wird und somit auch aus seiner Epoche? Mag sein, dass ich da konservativ bin.
Hätten Sie gern im 19. Jahrhundert gelebt?
Hampson: Aber ja. Auf jeden Fall. Dieser Sturm und Drang, diese Affinität zu den Naturgewalten, dieses Himmelhoch-jauchzend- und Zu-Tode-betrübt-Gefühl ist mir sehr nahe. Ich finde, es war ein ungeheuer spannendes Jahrhundert. Der Romantiker, der sich von der Klassik lösen will, das aber nicht schafft, der Klassiker, der die Blaue Blume der Romantik sucht – all das trage ich in mir!
Wie denken Sie über den Werteverfall und die Krise der Klassik?
Hampson: Die Probleme fangen mit der Allgemeinbildung in den Familien und der kulturellen Grundversorgung in den Schulen an. Ich glaube, diese Frage ist viel komplexer als diejenige, dass es den Plattenfirmen so schlecht geht und sie einige Sachen aus dem Katalog nehmen müssen. Letzten Endes: Was verkauft wird, ist nur ein Seismograph für die Befindlichkeiten der Menschen. Diese Frage nach der Krise auf dem Phonomarkt ist doch wirklich das letzte Glied in einer Gesellschaft, die die Frage stellt, wie es weitergehen soll mit uns und unseren Kindern und den nächsten Menschen um uns herum.
Mannheimer Morgen
11. Juni 2010