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Über Jazz, Bernstein und musikalische Weggefährten

BR-KLASSIK

Talent ist für ihn nicht einfach Glück, sondern eine Verpflichtung: Thomas Hampson. Am 28. Juni feiert der US-Bariton seinen 70. Geburtstag. Mit BR-KLASSIK spricht er über Weggefährten, die Bedeutung des Kunstlieds und die Frage nach der amerikanischen Kultur.

BR-KLASSIK: Thomas, Du bist ein Mensch, der in aller Welt gefragt ist und in aller Welt Konzerte gibt. Wo verbringst Du Deinen runden Geburtstag?

Thomas Hampson: Privat auf jeden Fall. Es gibt kein Konzert, es gibt kein großes Geschehen. Ich versuche, möglichst viele aus meiner Familie um mich zu haben. Und irgendwie den Tag zu “erdulden”, sodass ich weiterarbeiten darf. (lacht)

BR-KLASSIK: Du sagst “erdulden”. Denkst Du daran, dass Du jetzt in ein neues Lebensjahrzehnt eintrittst?

Thomas Hampson: Nein, nicht unbedingt. Ich habe immer noch wahnsinnig viel Energie. Ich fühle mich überhaupt nicht wie diese Ziffern neben meinem Namen. Und natürlich, jeder sagt das so gern: “Das sind nur Zahlen.” Aber es ist wahr. Ich komme nach München und habe eine Vorstellung an der Bayerischen Staatsoper mit “Così fan tutte”. Und wer kommt, kann feststellen, ob ich recht habe.

Thomas Hampson im Radio bei BR KLASSIK

Am 28. Juni um 11:05 Uhr ist Thomas Hampson zu Gast in der Sendung “Meine Musik” und stellt im Gespräch mit Laszlo Molnar seine Lieblingsaufnahmen vor. Auch die Ausgabe von “Cantabile” ab 13:05 Uhr steht ganz im Zeichen des 70. Geburtstags des US-amerikanischen Baritons.

Vorsingen bei Leonard Bernstein in New York

BR-KLASSIK: Du hast in Deiner Karriere mit vielen großen Musikerpersönlichkeiten zusammengearbeitet, darunter auch Leonard Bernstein – wie habt Ihr euch kennengelernt, wie war diese Zusammenarbeit und wie hast Du ihn persönlich erlebt?

Thomas Hampson: Oh, das war sehr aufregend. Nach meinem Debüt an der Metropolitan Opera in Oktober 1986 wurde ich eingeladen, ihm vorzusingen, denn er hatte einige Projekte in Planung, insbesondere eine “Bohème” in Rom. Ich stand in einer ziemlich langen Schlange fürs Vorsingen, als Bariton für die Rolle des Marcello. Nach diesem erfolgreichen Debüt wurde ich tatsächlich eingeladen, für ihn zu singen. Und das war sehr aufregend: Das war einfach Musik pur und das auf höchster Ebene. Dieses Erlebnis hebt natürlich dein eigenes Können nochmal auf ein anderes Level. Selbstverständlich haben wir tolle Gespräche über den Inhalt geführt. Ich kam sehr gut vorbereitet, wahrscheinlich sogar ein bisschen zu gut vorbereitet. Ich war wie ein kleiner Welpe, der ein bisschen zurückschrauben musste. Es war eine äußerst lebendige, menschliche und intensive Arbeit, von der ich mein Leben lang gezehrt habe. In meinem reichen Alter versuche ich jetzt, genau diesen geduldigen, aber wissenden Blick meinen Kollegen zu schenken. Wir sind eben alle Menschen.

Für Hampson ist das Lied zentral: “Tagebuch des Daseins”

BR-KLASSIK: Dein Fach ist natürlich das Lied – und im direkten Zusammenhang mit dem Liedgesang steht auch Deine Arbeit als Pädagoge, als Lehrer in ganz vielfältiger Weise, wie beispielsweise die Liedakademie beim Heidelberger Frühling und die “Hampsong Foundation”, die Du 2003 gegründet hast. Hat das Lied eine Zukunft?

Thomas Hampson: Entschuldigung, dass ich lache! Das ist eine Frage, die immer wieder auftaucht. Lassen wir die Kirche im Dorf. Das Lied bleibt auf jeden Fall! Auch die Oper bleibt auf jeden Fall. Das Phänomen, dass einer auf der Bühne was von sich gibt, das er oder sie jemandem vorsingt – das bleibt in alle Ewigkeit. In welcher Form auch immer, das kann man diskutieren. Der – nennen wir es einmal – altmodische Liederabend kann durchaus überdacht werden, obwohl ich diese Form sehr genieße und sehr wertvoll finde. Aber dass einer singt und einer zuhört und beide sind inspiriert, ein besserer Mensch zu werden – das finde ich irgendwie grundsätzlich im Leben. Vielleicht klingt das irgendwie fast zu moralisch, aber ich meine, was ist ein Konzert? Ein Konzert ist etwas äußerst wichtiges Soziales, wo einige Menschen zusammensitzen und eine gemeinsame Erfahrung haben. Aber in dieser Gemeinsamkeit ist jedes Individuum beschäftigt, jeder hat seine eigene Fantasie, jeder seinen eigenen Zugang zu dem, was gesungen wird. Was ich an einem Abend singe, ist wesentlich wichtiger, als dass ich gesungen habe. Wir stehen im Dienst der Sache. Und apropos Pädagogik: Genau das versuche ich zu vermitteln. Ich gebe weiter, was ich gelernt habe. Was die anderen damit machen, müssen sie entscheiden. Für mich sind die Künste die Evidenz des Daseins. Deswegen habe ich schon lange gesagt, ein Liederabend ist eine Art “Tagebuch des Daseins”. Ein Konzert ist ein Austausch – ein äußerst erfüllender Moment, in dem man sich selbst begegnen darf.

Jazz-Fan Hampson: Schüchterne Begegnung mit Oscar Peterson

BR-KLASSIK: Auch der Jazz hat eine große Bedeutung für Dich. Worin liegt die?

Jazz ist einfach eine unglaubliche musikalische Welt. Ich bin aufgewachsen mit diesen Klängen als klassisch ausgebildeter Musiker. Ich finde die Musiksprache des Jazz einfach sehr spannend. Es gibt ein paar Giganten: neben Chick Corea auch Oscar Peterson, den ich besonders bewundere. Als ich in den frühen 80er-Jahren nach Deutschland kam, war er noch sehr aktiv. Ich habe ihn in Düsseldorf, Zürich und Wien erleben dürfen. Ich war ein total verrückter Fan von ihm. In New York bei einem Abendessen habe ich ihm sogar einmal die Hand gegeben, was deswegen fast eine lustige Geschichte ist, weil ich so verlegen war. Ich weiß nicht, welchen Blödsinn ich ihm gesagt habe, aber ich habe zumindest meine Bewunderung ausgedrückt und bin dann weggeschlichen. Zu mir kommen oft so viele sympathische Leute, die verlegen sind, wenn sie mich begrüßen. Nicht, dass ich Oscar Peterson bin, aber ich kann mich sehr gut in andere hineinversetzen.

Lebenslange Arbeit mit Nikolaus Harnoncourt

BR-KLASSIK: Wer ist denn noch eine wichtige Person in Deiner musikalischen Laufbahn?

Thomas Hampson: Nikolaus Harnoncourt würde ich wirklich als engen Freund und Mentor bezeichnen. Er ist in meiner eigenen Geschichte und Laufbahn unendlich wichtig und bedeutend gewesen. Ich vermisse ihn jeden Tag. Er hat mein Leben schon als junger Sänger geprägt. Er ist sehr berühmt mit Bach und alter Musik geworden. Als er dann anfing, sich mit Mozart auseinanderzusetzen, gab es natürlich ziemlich viel Widerstand gegen seine Lesart. Aber der kam von Leuten, die nicht unbedingt das Privileg hatten, mit ihm zu arbeiten und zu proben. Ich hingegen konnte das fast mein ganzes Leben lang, und das war einer der aufregendsten und aufbauendsten Momente. Er wollte einfach alles in Frage stellen. Er wollte einfach alles wissen, was irgendwie möglich ist. Dabei war er für die unterschiedlichsten Stimmtypen und Aspekte offen.

Mit der “Hampsong Foundation” auf der Suche: Was ist amerikanische Kultur?

BR-KLASSIK: Du beschäftigst Dich auch künstlerisch mit Deiner Heimat, den USA, dahingehend, dass Du Dich sehr intensiv um das kulturelle Erbe, die musikalische Tradition der USA kümmerst. Du hast eine Stiftung gegründet, die “Hampsong Foundation”. Ein Schwerpunkt dieser Stiftung ist das Bewusstmachen für die amerikanische Liedkultur.

Thomas Hampson: Wir als amerikanische Musiker stellen uns die Frage: Wer ist unser Schubert, wer ist unser Brahms, wer ist unser Debussy? Denn diese Epochen gibt es da in dieser Form eigentlich nicht, die Entwicklung ging viel schneller voran. So hat 1850 überhaupt nichts mit 1860 zu tun, oder 1860 mit 1880 und so weiter. Unsere Geschichte und unsere Kultur können wir durch die Augen unserer Dichter und die Ohren unserer Komponisten wirklich besser verstehen. Und wenn wir unsere eigene Kultur in Amerika besser verstehen, dann werden vielleicht auch andere Kulturen besser verstehen. Deswegen hat sich die “Hampsong Foundation” besonders das kulturelle Verständnis durch die Künste, insbesondere durch Gedicht und Musik auf die Fahne geschrieben. Ich finde diesen Austausch sehr spannend und erleuchtend, in welcher Epoche auch immer.

Ich hätte das in Amerika in diesem Ausmaß niemals anbieten und durch die Stiftung weitergeben können ohne meine Kenntnis der Germanistik und vor allem der Entwicklung des deutschen Lieds, angefangen im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Das hat es mir letztendlich auch ermöglicht, mich damit auseinanderzusetzen: Was ist und was heißt Amerika eigentlich? Wir sind ein politisches Umfeld von vielen Kulturen und Immigranten. Das ist eine äußerst lebendige, aber natürlich volatile Umgebung, in der Kunst leben soll.