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Thomas Hampson: Der Anwalt des Liedgesangs

Bariton Thomas Hampson hält ein feuriges Plädoyer für den Liedgesang,
erzählt über sein neues Strauss-Album – und verrät seine größte Schwäche.

crescendo: Herr Hampson, wir erwischen Sie gerade in der Genesungsphase – Sie haben soeben verkündet, dass Sie für die nächsten Wochen alle Auftritte absagen mussten …
Thomas Hampson: Ja, das klingt oft dramatischer, als es ist. Es ist einfach so: Wenn man als Sänger eine schwere Bronchitis hat, dann heilt die nicht so schnell wie bei nicht singenden Menschen. Sie fokussiert sich meistens genau auf unsere Stimmorgane, und selbst wenn man so dumm und vermeintlich stark und stur ist wie ich, und immer einen Weg gefunden hat, trotz eines Virus weiterzuarbeiten – irgendwann geht es nicht mehr. An diesem Punkt bin ich angekommen. Das ist unerfreulich, allerdings nicht dramatisch, aber ich soll einfach ein paar Wochen nicht singen, weniger sprechen, etwas ausruhen und natürlich gesund leben.

Haben Sie geheime Hausmittelchen, um schneller gesund zu werden?
Naja, es ist vor allem die Ruhe. Das ist ja bei allen Menschen so: Man muss auch einfach einmal eine Auszeit nehmen. Und in diesem Fach, dem Auszeit-Nehmen, bin ich sehr schwach!

Alles andere als schwach sind Sie im Strauss-Fach! Bei den Osterfestspielen in Salzburg standen Sie als Mandryka in Strauss’ Oper Arabella auf der Bühne. Wie ist es gelaufen?
Es hat mir sehr viel Spaß gemacht! Es war ein besonderer Wunsch von Christian Thielemann, Renée Fleming und mir, dieses Stück im Strauss-Jahr zur Aufführung zu bringen. Und Salzburg mit seinen Osterfestspielen ist natürlich als Ort im Strauss-Jahr perfekt dafür!

2007 sollten Sie bei eben diesen Festspielen schon einmal den Mandryka singen, mussten damals krankheitsbedingt absagen. Danach haben Sie die Rolle erst mal für ein paar Jahre beiseitegelegt. Wenn man sich der Rolle nach so langer Zeit wieder nähert: Erkennt man die Rolle sofort wieder oder entdeckt man sie neu?
Als ich das erste Mal wieder den Klavierauszug aufmachte, war meine erste Reaktion: Oh, die Rolle ist viel länger, als ich dachte! Mein Gott, ist das hoch – uh, ist das tief! (lacht) Als ich anfing, sie wieder in Kopf und Kehle zu bekommen, wurde mir wieder klar, wie mein Hirn funktioniert: Ich mache oft viele verschiedene Dinge gleichzeitig, aber um eine Rolle wirklich zu lernen, muss ich mich ganz auf dieses eine Werk konzentrieren. Als ich das erste Mal wieder in Arabella reinschaute, war ich in New York und hatte gerade die letzte Vorstellung von Wozzeck gesungen – das passt überhaupt nicht! Erst zurück in Salzburg, nach zwei, drei Tagen intensiven Studiums, hatte ich plötzlich den Moment: Zack, da ist er wieder!

“Nach zwei, drei Tagen intensiven Studiums hatte ich plötzlich den Moment: Zack, da ist er wieder!”

Nach jahrelanger Beschäftigung mit Strauss haben Sie gerade auch „Notturno“, ein reines Strauss-Lied-Album, veröffentlicht. Wie schwer fiel Ihnen die Lied-Auswahl? Haben Sie Ihre All-Time-Favourites aufgenommen?
Wenn man ein Programm machen muss und dabei so unglaublich viele Werke und wichtige musikalische Momente zur Verfügung hat wie bei Richard Strauss, dann ist das durchaus nicht einfach. Ich hätte ohne Probleme drei oder vier CDs aufnehmen können. Als ich noch mal alles durchgesehen und durchgehört habe, wurde mir klar, dass ich „Strauss als Liedkomponist“ darstellen wollte – in seinen Etappen und persönlichen Einflüssen und Entwicklungen. Natürlich gab es davon abgesehen ein paar Lieder, die ich unbedingt auf der Aufnahme haben wollte – vor allem das titelgebende „Notturno“. Ich wollte bewusst wählerisch sein und nicht bloß ein „Hit-Album“ machen. Die meisten Strauss-Lieder sind vor dem Ersten Weltkrieg entstanden. Für mich eine besondere Entdeckung war aber das Opus 87, das von Strauss zwar eine Opus-Nummer zugeordnet bekam, das er aber zu Lebzeiten nie hat drucken lassen. Das sind Gedichte von Friedrich Rückert, und die werden auf jeden Fall regelmäßig in meinem Repertoire vorkommen. Sie strahlen eine besondere Strauss-Sprache aus, eine Nachdenklichkeit, die ab den 1930er-Jahren in seinem Werk zu finden ist. Ich glaube, dass wir Strauss manchmal in puncto Nachdenklichkeit und Reflexion unterschätzen. Er hat immer Lieder geschrieben, von seinen jüngsten Jahren bis hin zu seinem letzten Atemzug. Noch dazu sagte er selbst: Wenn er sich mit der „zauberhaften Beziehung zwischen Wort und Ton“ auseinandersetzen wollte, dann zog er sich in sein Zimmer zurück und komponierte Lieder. Da fand er zu seinen privaten Inseln des Komponierens. Damit sagt uns der Komponist selbst, dass für ihn sein Liedschaffen – egal, wie populär oder umstritten dieses oder jenes andere Werk auch sein mag – extrem wichtig war. Sein Leben lang haben ihn Ton und Wort beschäftigt. Das fasziniert mich an ihm.

Sie sprachen eben über die Nachdenklichkeit. Wenn man sich die Titelliste des Albums durchschaut, sind auffallend viele Lieder über Tod und Vergänglichkeit enthalten. Wollten Sie bewusst diese Facette des Komponisten zeigen?
Auch wenn die Lieder auf den ersten Blick eine gemeinsame Aussage zu haben scheinen, sind sie doch sehr individuell in der Auseinandersetzung. Meine Absicht war es auf keinen Fall, Vergangenheit oder Nachdenklichkeit dort zu erläutern. Es stimmt, was Sie sagen: Selbst „Traum durch die Dämmerung“ könnte man als nachdenklich bezeichnen. Aber sagen wir es anders: Es ist nicht die Melancholie oder Nachdenklichkeit, die mich beschäftigt hat, sondern vielmehr, in welcher Ernsthaftigkeit die unterschiedlichen Aspekte von Strauss wahrgenommen wurden. Dabei warfen ihm Skeptiker häufig sogar vor, er sei in seinen Liedern oft zu oberflächlich, zu positiv, zu sehr auf ein Happy End bedacht.

Sehen Sie das auch so?
Ich sehe es nicht so. Ich sehe schon, dass er nicht unbedingt einer war, der sich viel mit den dunklen Seiten des menschlichen Charakters auseinandergesetzt hat – Strauss war nicht unbedingt ein Optimist –, aber ich spüre, dass er ein Mensch war, der immer dachte: Da muss ich durch, ich muss meinen Weg finden. Wo man diesen Gedanken in vielen Varianten findet, ist in der Welt der Liebe. Er hat die feinen Unterschiede in Liebesaspekten gerne in seinen Liedern bearbeitet.

Gehen wir über zum Aspekt der Strauss-Interpretation: Haben Sie einen großen Strauss-Sänger, den Sie verehren?
Ich bin relativ vertraut mit der historischen Perspektive der Strauss-Interpretation. Ich habe natürlich die Aufnahmen gehört, bei denen Strauss selbst mitgewirkt hat und die damaligen Sänger gesungen haben. Wissen Sie, was ich aber viel interessanter finde, als Namen zu nennen?

Was denn?
Wenn man Strauss so singt, wie wir den Liedgesang heute im Ohr haben – also als eine Fortsetzung von Schumann oder sogar Brahms – dann stoßen wir schon auf Gesangsprobleme Strauss gegenüber. Seine Tessitur ist sehr breit, die Ausdruckspalette ist manchmal opernhaft. Man muss den Strauss-Liedern mit einer volleren, lyrischeren Stimme begegnen. Ich finde zum Beispiel Strauss auch nicht so verwandt mit Schumann wie beispielsweise Gustav Mahler. In gewisser Weise ist Strauss ein eigenes Lied-Fach.

Was sind denn die aktuellen Entwicklungen im Liedgesang?
Es wird für meinen Begriff recht viel „gesäuselt“. Dabei ist das gesungene Wort etwas anderes als das gesprochene Wort mit Musik. Außerdem habe ich das Gefühl, dass der Liedgesang im Lauf meiner Karriere vielfach zu einer Art Wissenschaft geworden ist.

Inwiefern?
Vielleicht sehe ich die Sache simpler als andere: Letzten Endes glaube ich, dass ein Lied ein Tagebuch des Daseins ist. Ein Lied ist eine Evidenz des Daseins – von Komponisten und Dichtern. Noch dazu bin ich vollkommen überzeugt, dass wir das Lied als eigene Kunstgattung wahrnehmen sollten und nicht zwanghaft damit beschäftigt sein müssen, ob es ein tolles Gedicht oder ein toller musikalischer Einfall war. Man muss es als Gestalt in sich, als Einheit sehen. Sicherlich wird hier die Kunstform Musik mit der Kunstform Gedicht zu einer dritten Kunstform: dem Lied. Und nicht zu einer „Vertonung des Gedichts“. Beschwer­den wie „Oh Gott, was hat der denn mit diesem wunderschönen Gedicht gemacht?“ oder „Dieser grauenvolle Text hat nur Berechtigung, weil Schubert ein schönes Lied draus gemacht hat“ sind für mich nicht weit genug gedacht.

Gibt es einen Liedkomponisten, der unbedingt mehr auf den Programmen stehen sollte?
Ich bin grundsätzlich kein Künstler, den man für Lieder „bestellen“ kann, weil man „die einfach singen muss“. Alles, was ich singe, mache ich mit ernsthafter Leidenschaft. Dabei gibt es natürlich immer wieder Entdeckungen: Ich recherchiere schon lange in der französischen Melodiewelt und habe mich mit Komponisten beschäftigt, die eigentlich für ihre Opern bekannt sind, aber auch wunderbare Lieder geschrieben haben. Massenet, Gounod, Chausson, Charpentier. Was ich – gerade unter dem Aspekt, dass heutzutage so eine Wissenschaft aus dem Kunstlied gemacht wird – nicht verstehen kann, ist, dass wir so wenig über Hugo Wolf hören …

… der ja auch ein sehr umfangreiches und vielfältiges Liedschaffen hinterlassen hat.  
Ja! Aber wenn man sagt: In der zweiten Hälfte würde ich gerne Wolf singen, dann passiert das: Man hebt bedauernd die Hände, verdreht die Augen und sagt: „Um Gottes willen, das können wir nicht verkaufen – die Leute wollen Hugo Wolf nicht hören!“ Das verstehe ich nicht. Ich finde Wolf einen unfassbaren Komponisten, unendlich reich an Liedgut, Formen und Gedanken.

Sonstige Tipps?
Sollen wir mehr Korngold hören? Und Pfitzner und Berg? Auf jeden Fall! Sollen wir überhaupt mehr Lieder hören? Ja! Ich glaube, es hängt nicht an einem Komponisten, der vergessen ist. Ich glaube, die Gattung gehört mehr geliebt und aus der Liebe vorgestellt, und nicht aus einem wissenschaftlichen Aspekt heraus betrachtet. Das Publikum soll wissen, dass jeder Liederabend potenziell ihr Leben bereichern kann. Dass man das Leben neu kennenlernen kann, sich amüsieren kann oder auch Ängste beseitigen kann. Ich glaube, dass der Liedgesang ein absoluter Kernpunkt des Kennens unserer Kultur ist. Das ist zumindest, was ich meinem Publikum vermitteln möchte.

Ein tolles Plädoyer für den Liedgesang!
(lacht) Sie sehen, ich bin Feuer und Flamme für das Lied.

Letzte Frage, Herr Hampson: Sie führen ja einen sehr gesunden Lebensstil. Sie machen Yoga, haben Ihren Biorhythmus von einer Astrologin bestimmen lassen … Verraten Sie uns noch, wofür Sie eine echte Schwäche haben?
Ich habe eine absolute Schwäche für Tiere. Ich liebe Tiere. Ich spreche auch gerne mit Tieren! In der Früh gehe ich an einer Weide mit Kühen vorbei und grüße sie. Wenn ich plötzlich ein Reh im Wald überrasche und es ängstlich wegrennt, dann tut mir das direkt leid. Ich bin relativ unruhig in einem Zoo, weil ich immer verwirrt bin: Wer schaut hier wen an? Wenn ich einen anderen Beruf hätte, dann hätte ich vielleicht einen Bauernhof mit 16 Hunden,15 Katzen, dutzenden Hühnern. Kühe nicht, da muss man zu früh aufstehen. Und einen großen Teich, und Vögel, die vorbeifliegen, können bei uns kostenlos übernachten. Tiere jeder Art sind bei mir zuhause.

Vielleicht klappt das ja irgendwann noch mit dem Bauernhof …
Ja, das wäre schön. Am liebsten hätte ich dann aber – was vollkommen utopisch ist – die Erlaubnis einen Pandabären zu haben! Ich bin ein absoluter Panda-Fan! Wer sonst darf so faul sein, den ganzen Tag mit Fressen verbringen, und wird trotzdem so geliebt? Das ist eine echte Sängereinstellung!  (lacht)

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