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Talentschmiede in Fachwerkidylle

Concerti

Photo: Peter Oppenländer

Seit nunmehr vier Jahren reisen junge Nachwuchstalente nach Waiblingen bei Stuttgart, um an der von Melanie Diener und Thomas Hampson gegründeten Internationalen Opernwerkstatt teilzunehmen.

„Geh nach Hause“, sagt Vlad Iftinca und scheucht Sopranistin Xiaofang Zhao von der Bühne. Die Zuschauer lachen. Denn der Dirigent meint es nicht böse, im Gegenteil: Die junge Chinesin hat ihn bei der letzten öffentlichen Klavierprobe vor dem großen Abschlusskonzert der Internationalen Opernwerkstatt Waiblingen mit dem vollen Klang ihrer Stimme überzeugt. Jetzt soll sie sie schonen. Auch die anderen Teilnehmer bekommen von Iftinca nach getaner Arbeit ein augenzwinkerndes „Tschüss“ oder „Okay, go home“ zu hören. Die Gesundheit und das Wohlergehen der elf Werkstattteilnehmer haben für ihn oberste Priorität, denn am Nachmittag treffen sich alle zur Orchesterprobe mit der Württembergischen Philharmonie Reutlingen.

Bereits seit vier Tagen leben, singen und proben die Teilnehmer schon gemeinsam. Immer unter den liebevoll wachsamen Augen von Sopranistin Melanie Diener und Bariton Thomas Hampson. Vor vier Jahren hat Diener die Opernwerkstatt in ihrer Heimatstadt Waiblingen ins Leben gerufen und sich dafür den berühmten Bariton zur Seite geholt. „Als ich noch jung war, habe ich für das Projekt ,Verboten und verbrannt‘ in Salzburg mit Thomas Hampson zusammengearbeitet. Seitdem sind wir in Kontakt geblieben, und als ich ihn gefragt habe, ob er die Opernwerkstatt gemeinsam mit mir verwirklichen möchte, hat er sofort zugesagt“, erzählt sie bei einer Tasse Tee im Bürgerzentrum. Ziel ihrer Arbeit sei es, den Teilnehmern Vertrauen und Sicherheit in die eigene Person und das eigene Können mitzugeben – es sei schließlich ein harter Beruf. „Heutzutage ist es für den Nachwuchs viel schwieriger geworden, die Industrie hat sich verändert“, bestätigt Hampson. „Umso glücklicher bin ich, dass wir hier in Waiblingen gemeinsam mit dem Orchester ein tolles Opernprogramm erarbeiten. Ich sehe mich selbst schon als Waiblinger!“

Stadt Waiblingen und lokale Sponsoren machen Opernwerkstatt möglich

Die Opernwerkstatt richtet sich an internationale Nachwuchstalente an der Schnittstelle von Studium und Beruf, in diesem Jahr unter anderem aus Kanada, Venezuela, Südafrika, Südkorea und Frankreich. Den kürzesten Weg hatte Josua Bernbeck. Der Bariton ist gebürtiger Waiblinger, hat hier früher in einer Metzgerei gejobbt und freut sich umso mehr als echter Waiblinger hier teilnehmen zu können. „Aber nicht nur deswegen ist es etwas Besonderes für mich, hier dabei zu sein: Auch das Niveau ist unglaublich hoch und von Melanie Diener und Thomas Hampson kann man sehr viel lernen, sowohl technisch als auch persönlich.“ Während die anderen Teilnehmer in Gastfamilien in Waiblingen und der Region untergebracht sind, ist Josua wieder bei seinen Eltern eingezogen. „Meine Mutter freut sich sehr darüber, dass ich jetzt wieder bei ihnen bin. Ich wohne ja eigentlich in Stuttgart“, erzählt der 22-Jährige.

Die Stadt unter Oberbürgermeister Sebastian Wolf sowie Thomas Vuk, dem Fachbereichsleiter Kultur und Sport, unterstützt das Projekt aus tiefstem Herzen. Das betont auch Melanie Diener: „Mit Thomas Vuk und seinem Team hat die Opernwerkstatt große Kreise gezogen. Er ist offen und hat viel verändert, seitdem läuft es sehr gut.“ Thomas Hampson ergänzt: „Wir haben nicht erwartet, dass Vuk und sein Team uns mit solcher Inbrunst unterstützen würden. Dank ihnen ist Waiblingen zu einem lebendigen Kulturort geworden.“ Zu den großen Unterstützern zählen auch lokale Sponsoren wie die Kreissparkasse Waiblingen und das Unternehmen Stihl mit Hauptsitz in Waiblingen. „In meinen Bühnenträumen habe ich mir ausgemalt, die Opernwerkstatt im privaten Rahmen zu verwirklichen, aber schnell gemerkt, dass das finanziell und logistisch nicht möglich ist“, erzählt Diener lachend. „Daher ist es für uns ein Glücksfall, so tolle Sponsoren in der Stadt zu haben. Ohne sie geht es nicht.“

Daneben melden sich immer mehr Familien, die die Nachwuchssänger während ihrer Zeit in Waiblingen bei sich aufnehmen möchten, die Buchhandlung in der Altstadt hängt Poster und Fotos der Werkstattteilnehmer im Schaufenster auf, um so auf das Projekt aufmerksam zu machen, Schulbesuche sind fester Bestandteil im Programm. Am 23. November konnten sich einige Waiblinger beim intimen Konzert in der Galerie Stihl, bei dem die Teilnehmer Lieder aus ihren jeweiligen Heimatländern vorgetragen haben, bereits ein Bild von ihnen machen.

Opernwerkstatt soll noch größer werden

Zwei Tage später steht das große Abschlusskonzert mit der Württembergischen Philharmonie Reutlingen unter Vlad Iftinca im großen Saal des Bürgerzentrums an, bei dem die Nachwuchsmusiker mit Melanie Diener und Thomas Hampson auf der Bühne stehen und unter dem Motto „Mozart Plus“ Arien des Salzburger Komponisten sowie von Johann StraussOffenbachRossiniBizetWagner und Humperdinck vortragen. Zwei Zugaben geben sie unter dem tosenden Applaus des Waiblinger Publikums und fallen sich beim anschließenden Umtrunk glücklich und erleichtert in die Arme. „Ich sehe es als große Chance, dass ich im Rahmen der Opernwerkstatt mit Melanie Diener, Thomas Hampson und dem Orchester zusammenarbeiten durfte“, resümiert Sopranistin Xiaofang Zhao. „Ich hatte außerdem die Möglichkeit, mich zu zeigen und von den anderen zu lernen.“

Für die Zukunft wünscht sich Melanie Diener, dass die Opernwerkstatt noch länger andauert und noch größer wird. Irgendwann würde sie im Sommer auch gerne ein Open-Air-Opernfestival in Waiblingen veranstalten. Aber jetzt stehen erst einmal die Vorbereitungen für die nächste Internationale Opernwerkstatt Waiblingen an, die für den 15. bis 21. September 2024 geplant ist. Alles andere ist bisher noch Zukunftsmusik.