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Morgenpost – Thomas Hampson: Es geht um das Miteinander

Photo: © Peter Adamik

Morgenpost

Der amerikanische Bariton Thomas Hampson hat sich in seiner Karriere durch die großen Opernhäuser der Welt gesungen. Einen Namen hat sich der Grammy-prämierte Sänger gerade auch als Liedgestalter gemacht. Im Boulez-Saal eröffnet der 65-jährige Künstler am Montag seine dritte Schubert-Woche, die aber fürs Publikum in diesem Jahr nur digital zugänglich ist.

Berliner Morgenpost: Herr Hampson, Corona, Einsamkeit und Schubert. Irgendwie passt sein Liedgut in die Zeit?

Thomas Hampson: Es gibt diese Facette bei Schubert, aber sein Leben und Werk sind reicher an menschlichen Gefühlen und Zuständen. Es gibt von jedem großen Liedkomponisten Werke über die Einsamkeit. Gerade Schubert schrieb mitunter seine heiterste Musik, wenn es ihm schlecht ging. Wir selbst erleben es gerade auch in dieser schwierigen Zeit, dass wir uns eine hellere Zukunft herbeisehnen.

Die Pandemie hat die Verbindung von Künstlern und Publikum unterbrochen. Glauben Sie an die gute Macht der sozialen Medien, um die Nähe wieder herzustellen?

Wir, die das Publikum einladen wollen, denken zuerst an Liveauftritte vor Ort. Aber insbesondere das Streaming eröffnet unglaubliche Möglichkeiten. Durch Lockdowns und Reisebeschränkungen haben wir ein größeres Publikum dafür. Livemusik wird durch digitale Möglichkeiten unterstützt und ergänzt. Das finde ich sehr aufregend. Daher haben wir auch die Schubert-Woche aufs Digitale umgestellt. Jeden Abend um 20 Uhr findet ein Liederabend statt. Dazu kommen öffentliche Workshops und Gespräche mit Experten. Es ist eine eigene Digitalwelt, in der wir zugänglich bleiben.

Wird aus dieser digitalen Entwicklung ein neuer Typus Künstler hervorgehen?

Es gibt einen “long tail” an Digitalprodukten, es werden schon lange mit dem iPhone gemachte Mitschnitte auf Youtube gestellt. Ob die Pandemie andere Künstler hervorbringt, weiß ich nicht, aber auf jeden Fall andere Formate. Das Schöne an den digitalen Angeboten ist, dass wir damit auch ein erweitertes Repertoire präsentieren können. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir in unserer Woche vom 18. bis 24. Januar mehr Schubert-Lieder vorstellen können als überall sonst auf der Welt.

Der Wiener Komponist verwendete deutschsprachige Texte. Ihre jungen Sänger kommen aus den verschiedensten Ländern. Können sie als Liedsänger überhaupt den gleichen Zugang finden?

Jeder Sänger muss sich die Lieder selbst erarbeiten. Ich bin auch Amerikaner und ein Hobby-Germanist. Was ich im Unterricht erlebe: Wenn jemand in die Schubert-Welt einsteigt und sich mit der menschlichen Dimension auseinandersetzt, dann geht es nicht mehr um Nationalität oder Sprache. Die Lieder werden zu einem Prisma der Gefühle. Ein Künstler muss verstehen und glauben, was er singt – die Vorbereitung ist da sehr individuell.

Sie selbst singen am 20. Januar Lieder von Schubert, aber auch von Anna Amalia von Sachsen-Weimar, Zumsteeg oder Reichardt. Brüskieren Sie nicht im direkten Vergleich die unbedeutenden Komponisten?

Ich wollte ein Panorama aus Schuberts Zeit anbieten. Es sind Lieder, die er vielleicht selbst gehört hat. Das Vorbild Goethe bleibt im Zentrum, er wird durch die Augen der Zeitgenossen Schuberts gesehen. Ich bewundere den Komponisten Carl Loewe und finde es aufregend, dass Schubert und Loewe den „Erlkönig“ unabhängig voneinander vertont haben.

Sie sind in den USA geboren worden, leben in der Schweiz und waren zeitlebens als reisender Opernsänger in der Welt unterwegs. Wenn Sie jetzt auf den global eingestellten Klassikbetrieb schauen, was geht dann in Ihnen vor?

Unsere Industrie ist hart getroffen. Irgendwann wird es aber wieder losgehen. Man fragt sich nur, wie lange es noch dauern wird. Ich glaube, Politiker überall waren sehr überrascht, wie weit und tief die Effekte der verstummten Klassikindustrie reichen. Nicht nur in Europa, sondern auch in den USA. Dort ist die Situation sehr schlimm. Orchester wurden stillgelegt. Mit einem 877 Milliarden Dollar Jahresbudget für die Künste geht es auch um die Existenz von sehr vielen Musikern. Der Beruf muss wieder eine Zukunft bieten und die kulturelle Substanz in allen Bereichen darf nicht verloren gehen.

Wird es zu Veränderungen im internationalen Tournee-Betrieb führen?

Tourneen werden wiederkommen. Aber ich denke, dass es anders sein wird. Vor allem vorübergehend regionaler. Derzeit denkt Berlin für Berlin, Hamburg für Hamburg und Wien für Wien. Das ist nur verständlich. Die Situation bietet aber die Chance, dass unser Repertoire lebendiger wird. Vieles wird davon abhängen, wann ein regulärer Spielbetrieb mit vielen Menschen in einem Saal wieder möglich sein wird.

Was ärgert Sie im Moment am meisten?

Ich denke, dass es sehr vielen Menschen einfach nicht gut geht; dass sie Seelennöte haben, die nicht wahrgenommen werden. Wir müssen gemeinsam durch die Krise. Gerade jetzt wäre es wichtig, unsere Mitmenschen stärker wahrzunehmen. Es geht um das Miteinander.

Das Miteinander ist ein Konfliktthema in den USA. Die Amtsübergabe von Trump an Biden sorgt für ungeahnte Gewaltexzesse.

Was im Kapitol am 6. Januar passiert ist, dafür habe ich überhaupt kein Verständnis. Das hätte nie geschehen dürfen.

Wie viel Amerika steckt noch in Ihnen?

In meiner Seele bin ich Amerikaner, aber ich habe meine Familie und mein Wohlbefinden in Europa gefunden. Ich fühle mich manchmal etwas schizophren, wenn ich auf die eine oder andere Seite schaue. Aber ich glaube an die enge Verbindung zwischen Europa und der sogenannten Neuen Welt. Unsere Kulturen müssen im ständigen Austausch bleiben.

Sie sind erleichtert, wenn Biden sein Amt offiziell antritt?

Auf jeden Fall. Ich glaube an die goldene Regel der amerikanischen Demokratie: agree to disagree. Wir können darüber einig sein, verschiedene Auffassungen zu haben. Mit seiner Polarisierung hat Trump diese Regel in seiner Amtszeit verletzt.