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Menschlichkeit zählt, nicht Konsum

Starbariton Thomas Hampson und Mitglieder der Wiener Philharmoniker gestalten einen Liederabend. Auf Einladung des Zontaclubs 1 und des Lionclubs Tirol geben Thomas Hampson und die Wiener Virtuosen ein Konzert mit Brahms, Mahler und Wolf.

TT: Herr Hampson, woher kommt Ihre außergewöhnliche Vielseitigkeit? Ist stilistische Vielfalt Erfahrung?

TH: Lied und Oper prinzipiell zu trennen ist weniger eine Stilfrage als eine Frage der gesanglichen, psychischen Energie. Liedgesang ist viel sensibler als Oper. Der künstlerische Mensch hat unterschiedliche Fähigkeiten anzunehmen und zu geben. Die menschliche Seele ist so vielfältig und interessant. Vielfältigkeit ist eine philosophische Einstellung, es geht immer um Inhalte. Denen möchte ich zur Verfügung stehen.

TT: Sie sind Don Giovanni, Simone Boccanegra, Macbeth usw. und ein wunderbarer Liedgestalter. Wo definieren sie sich stimmlich?

TH: Ich wollte immer lyrisch bleiben und habe dafür früher auf manche Opernrolle verzichtet. Heute würde ich sagen, ich bin ein lyrischer Sänger mit dramatischen Fähigkeiten.

TT: Sie arbeiten ungemein viel. Was gibt Ihnen Kraft?

TH: Ich achte auf meine Gesundheit. Ich verfolge ein aufmerksames Ernährungsprogramm und mache seit 25 Jahren Yoga und Gymnastik. Allerdings vernachlässige ich in letzter Zeit die Urlaube… Vernunft und Balance spielen in meinem Leben eine bedeutende Rolle. Wenn beides stimmt, erfüllt es mich mit Energie.

TT: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

TH: Derzeit bin ich sehr aktiv. Später werde ich weniger singen, wählerischer sein und neue Ideen der Vernetzung verwirklichen. Ich möchte dann auch mit kleineren Veranstaltern gemeinsam noch konsequenter an Liedprojekten arbeiten.

Thomas Hampson. Photo: Simon Fowler

TT: Was interessiert Sie noch in der Oper?

TH: Ich bin jetzt bei dem Repertoire angelangt, in dem ich mich wohlfühle. Macbeth, Amfortas, das sind lyrisch-dramatische
Partien. 2005 kommt in Wien ein neuer Falstaff. In etwa zehn Jahren werde ich mir die “Meistersinger” näher ansehen und überlegen, ob ein Sachs etwas für mich wäre. Die Rolle reizt mich sehr, ein Dilemma, die geschichtlichen Zusammenhänge. Gerne würde ich auch noch einmal Busonis “Faust” machen. Aber es ist unmöglich für mich, nur Opernsänger zu sein. Für mich ist das Lied, seine Erzählkraft, minderstens genauso wichtig.

TT: Sehen Sie auch eine Krise der klassischen Musik?

TH: Von einer Krise zu sprechen, lehne ich ab. Äußerlichkeiten des Lebens betreffen heute nicht nur die Kunst. Konsum und Verkauf sind nicht gleichbedeutend mit Interesse, das muss man trennen. Die menschlichen Aspekte in der Kunst müssen im Vordergrund stehen. Es geht nicht um 30 oder 3000 Zuhörer, sondern um die Möglichkeit des Erzählens und Erzählenlassens.
Wir können den Wert eines Kunstereignisses nicht an den verkauften Karten messen. Aber es ist eine Gefahr der heutigen Zeit. Man müsste wieder öfter die qualitativen Fragen stellen, aber welchen Stellenwert hat heute Qualität im Kampf um den Konsum? Es gibt mehr als nur das kommerzielle und politische Treiben. Ich vermisse die energetische interkulturelle Nachdenkgesellschaft. Sie scheint mir tatsächlich weniger Stellenwert zu haben. Das tut uns weh.

TT: Was treibt Sie dennoch oder trotzdem künstlerisch an?

TH: Neugier. Ich führe ein gesegnetes, priviligiertes Leben und bin überzeugt, dass die Menschen neugieriger sind als oft angenommen. Wenn meine Neugier ihre Neugier zufrieden stellt, gibt mir das Energie und befriedigt mich mehr, als populär zu sein. Wir müssen die Leute unterstützen, ihren eigenen, individuellen weg zu finden. Es geht ums Menschliche, nicht um den Konsum.