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Interview mit dem Opernsänger Thomas Hampson

Sie sind ein sehr gebildeter Mensch, äußern sich über alle Themen der Welt, ich weiß gar nicht mehr, was ich Sie noch fragen soll!
TH: (Lachen). Danke. Was haben Sie denn alles über mich gelesen?

Sogar Ihre Größe und Ihr Gewicht ist mir bekannt!
TH: (Lachen) Ach, ich liebe Schokolade und Marzipan! Und in Wien, wo ich lebe, gibt es so leckere Dinge. Auf der Bühne wirke ich kleiner, als ich tatsächlich bin. Die Menschen wundern sich immer. Doch ich beschäftige mich nicht wirklich damit.

„Vom Vater die Statur, von der Mutter die Natur“. Wie war das bei Ihnen?
TH: Das ist so ein wunderbarer Satz von Goethe. Ein bisschen stimmt das auch bei mir. Meine Mutter ist sehr musikalisch und auch meine beiden älteren Schwestern, die eine ist eine hervorragende Pianistin. Ich habe alles mögliche gespielt, doch ich konnte mich nicht wirklich entschließen, in eine Richtung zu gehen. Es war wohl ein Glücksfall, dass ich zum Gesang kam. Literatur und Geschichte interessierte mich, dann dachte ich, Rechtsanwalt zu werden und Diplomat, ich habe viel studiert, Psychologie, Politik, immer war dieser träumende nachdenkliche nach einem Weg suchende Mensch in mir. Und jetzt ist alles vereint, in der Kunst die ich jetzt mache.

Sie wuchsen auf in Spokane (Washington). Ihr Vater ist Atomkraftingenieur. Hat Sie seine Arbeit politisch geprägt?
TH: Damals war das kein Thema. Seine Arbeit hat mich zwar interessiert, aber ich selbst bin fürchterlich unbegabt in Mathematik und Physik. Später als ich erwachsen wurde, habe ich mir Gedanken gemacht. Als Energiequelle finde ich die Atomkraft wunderbar, aber nicht, um gegen andere Krieg zu führen.

Sie nehmen immer wieder an interdisziplinären Symposien teil, in Melk werden Sie diesmal auf den „Vater der Pille“ Carl Djerassi und den Molekularbiologen und Nobelpreisträger Gunter Blobel treffen. Was kann man als Musiker von solchen Persönlichkeiten lernen?
TH: Eine Menge, denn in diesen Bereichen liegt der Kern des menschlichen Treibens. Wie und was ist und denkt der Mensch, was treibt ihn, das sind die wirklich wichtigen Fragen der Menschheit. Es ist für mich eine Ehre, in diesem Rahmen zu Gast zu sein. Ich finde es sehr interessant, wenn Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kunst zusammenkommen. Das ist sehr inspirierend. Zudem erhält man eine Lektion in Demut, wenn man Wissenschaftlern zuhört. Der Respekt, die Ehrfurcht vor der Schöpfung wird noch größer.

Demut lehrt einem ja auch die große Kunst.
TH: Ja, sie sollte es, aber einige, und es werden immer mehr, sehen sie nur als Vehikel, um berühmt zu werden oder zum Gebrauchsgegenstand für Meinungen aller Art zu machen stets auf der Suche nach dem angeblich Neuem. Das ist ein Armutszeugnis und die Definition von mir für Langweile. Die Langweile ist die endlose Suche nach dem angeblich Neuem. Diese Tendenz in Kunstbetrieb finde ich sehr gefährlich.

Sie sprechen die Macht der Regisseure an.
TH: Ja. Ich schimpfe jetzt nicht auf die Regisseure im allgemeinen, aber ich muss auch meine Verantwortung als Sänger sehen. Es wäre unverantwortlich von mir unvorbereitet zur Probe zu kommen oder als Schauspieler aufzutreten ohne grundlegende Technik. Regisseure üben sehr viel Druck auf die Oper aus, das ist nicht fair. Wir sind oft sehr überheblich. Oper ist kein Schauspiel, kein Roman, und manchmal noch nicht mal unbedingt von der Handlung abhängig. Oper ist ein Feld, auf dem sich ein existentielles Dilemma abspielt. Die tatsächliche Handlung ist oft nur sekundär und äußerlich; entscheidend ist die Sprache der Musik, die die Psychologie der Figuren darstellt und Affekte hervorruft. Darum geht es. Der neuen Regie geht es oft nur um Optik, Äußerlichkeiten und Gags. Ist es nicht unsere Verantwortung, den seelisch gesellschaftlich moralischen Kontext der Generation, in der ein „Don Giovanni“ gelebt hat, herauszufinden?

Also etwa aus der Sicht von Casanova das Werk deuten und nicht aus der kleinbürgerlich verklemmten Peepshowsicht unseres Jahrhunderts, wie in der Inszenierung von Kusej 2002 in Salzburg, an der Sie als Don Giovanni mitwirkten?
TH: Ob aus der Sicht von Casanova oder Dracula, darüber könnten wir streiten. Mein größtes Problem in Salzburg war nicht zu wissen, was nicht erlaubt ist. Wenn alles erlaubt ist, wo ist dann das Verbrechen? Ich konnte es bei dem Regisseur Martin Kusej, der ein faszinierend intelligenter Mann ist, nicht herausfinden.

Freiheit, die als Beliebigkeit gedeutet wird, gehört ja heute zum Lifestyle.
TH: Ja, das finde ich furchtbar und macht alles nur vulgär. Es ist mir zu billig, die Figur des Don Giovanni nur zu benützen, um zu schockieren und nicht das existentielle Dilemma zu zeigen. Es handelt sich nicht um ein Stück mit sechs Personen in einem Bus, von denen einer ein Ekel ist. Man muss die Tabus zeigen, die unterschiedlichen Ebenen. Don Giovanni spricht mit jeder Frau anders, das ist ja auch der Zauber von Mozart Musik. Es gibt natürlich verschiedene Typen von Opern, manche sind – sagen wir mal – belastbarer als andere. Doch der Dialog um die Inszenierung entsteht leider grundsätzlich außerhalb der Sängerkreise und das bedaure ich sehr.

Traut man dem Wort, der Musik nicht mehr?
TH: Ja, es scheint so. Vieles wird oft überzeichnet, wiederholt, als hätten wir es nicht schon so kapiert. Das ist ermüdend und eine gefährliche Eigenschaft der Regie.
Um ein bisschen die Salzburg Produktion zu verteidigen: Alle haben davon gesprochen, alle haben sich auseinandergesetzt. Man war entweder euphorisch oder empört. Jeder einzelne hat seine Reaktion begründet, genau wie Sie jetzt. Mir liegt nicht an Polemik, alle müssen zusammenarbeiten. Ich bin aber immer ziemlich skeptisch, wenn ein Schauspielregisseur kommt und sagt, mit Oper habe er nicht soviel am Hut oder wenn er meint, die Sänger seien ja alle so oberflächlich und wollten nur auf der Rampe stehen. Ich bevorzuge den Respekt.

Ihr Traum?
TH: Ich würde gerne ein Golfturnier gewinnen. In der ganzen Familie wurde Golf gespielt, ich bin damit aufgewachsen. Es ist ein toller Sport für Künstler.

Warum?
TH: Es geht um die innere Balance, die Körperbeherrschung, der innere Schwung zählt, man ist ganz alleine da draußen und auf sich gestellt. Man muss sich mit der eigenen Wut, dem inneren Frust auseinandersetzen. Das ist alles sehr metaphysisch. Man glaubt es auf dem ersten Blick kaum. Golf hat auch viel mit Gesang zu tun. Irgendwann schreibe ich mal einen Artikel darüber. Sie stehen bei diesem Sport vor sehr ähnlichen Aufgaben. Als Sänger sind wir ja unser eigenes Instrument und auf unser physisches und seelisches Gleichgewicht sehr angewiesen. Und so ist es auch beim Golf.

In einem Interview bekannten Sie, Sie hätten Angst vor Mittelmäßigkeit.
TH: Vielleicht ein bisschen aus Eitelkeit. Jede Art von Perfektionismus birgt in sich eine gewisse Eitelkeit. Zu wissen, ich würde nicht manchmal an die musikalische Wahrheit eines Werkes herankommen, wäre für mich furchtbar. Als Künstler muss man ein gesundes Ego haben, aber zu glauben, ich wäre der einzige, der so etwas schaffen kann, ist dumm. Begabung ist ein Geschenk, bedeutet aber auch eine hohe Verantwortung. Ich möchte in dieser Verantwortung nicht versagen.

Sie sind nie mit sich zufrieden….
TH: Nie wirklich. (Lachen). Es könnte immer besser sein. Irgendwo habe ich den Begriff „a divine descontent“ aufgeschnappt. Das ist es vielleicht. Auf meinem Grabstein soll stehen: „Er hat alles gegeben, was er konnte“. Armes Schwein! (Lachen)

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