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In den besten Jahren

Artikel aus der Zeitschrift Rheinischer Merkur, Ausgabe Nr. 33, 18.08.2005
Von Hilde Malcomess

Manchmal helfen Vorurteile, um ein Phänomen einzuordnen. Thomas Hampson scheint der typische amerikanische Strahlemann zu sein. Gut aussehend, unkompliziert, erfolgreich. Andere Sänger legen die Stirn in Falten, geben sich ein wenig grüblerisch und werden gleich als Denker apostrophiert. Er ist ein Forscher, ein Intellektueller und kommt doch wie ein sonniger All-American Boy rüber. Mindestens 1,95 Meter groß ist der Mann. Noch immer recht schlank. Ein leichter Silberschimmer liegt auf dem vollen, dunklen Haar. Jugendlicher Glanz strahlt unter langen Wimpern.

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Gerade ist er 50 geworden. “Wir werden alle älter, oder?’, gibt er mit entwaffnendem Lächeln zurück. Kein Grund für eine Sorgenfalte im gepflegten Gesicht. Auch das Wissen darum, dass ein Sänger stimmlich zwischen 35 und 50 Jahren auf dem Höhepunkt ist, bringt ihn nicht in Verlegenheit. Ein volles Baritonlachen lässt die Brust beben: “Ich bleibe selbstverständlich auf dem Höhepunkt.’

Entspannt lehnt er sich auf der besonnten Parkbank zurück und neigt dann den Oberkörper wieder nach vorne: “Im Ernst – gesanglich bin ich in meinen stärksten Jahren! Die Fähigkeit der Stimme ist nicht so wichtig. Im Leben eines Sängers gibt es ohnehin nur eine kurze Zeit, in der er zufrieden sein kann: Das sind die wenigen Jahre, in denen die Stimme schön klingt und die Interpretation reif ist. Wie lange dieses Fenster offen steht? Das ist ein Geschenk Gottes.’

Dieses Geschenk will er mit möglichst vielen Menschen teilen, ihnen Zugang verschaffen zu allen Aspekten des Liedes. Deshalb träumt er von einer kostenlosen Hörbibliothek auf seiner Website. Der im Kleinstädtchen Spokane im Staate Washington aufgewachsene Hampson singt Monteverdi, Britten und Henze, Rossini, Verdi und Puccini. Er verkörpert Busonis “Doktor Faustus’, Szymanowskys “König Roger’, spielt die Titelpartie des “Simon Boccanegra’ und die monströse Hauptrolle in der Uraufführung von Friedrich Cerhas “Der Riese vom Steinfeld’. Er glänzt in der Titelpartie des “Don Giovanni’, singt diesen Sommer in Salzburg den Germont in “La Traviata’, hält dort einen Workshop zur amerikanischen Liedkunst und leitet ein Projekt über verfolgte Komponisten. Überhaupt sind Salzburg und die Wahlheimat Wien die Ankerpunkte seiner weltweiten Karriere geworden.

Durch alle Stimmlagen

Die verdankt Hampson neben seiner Bühnenpräsenz vor allem seiner Interpretation des deutschen Liedes. Es bedarf gar keiner Nachfrage: Ein Gespräch mit Thomas Hampson findet automatisch seinen Weg zu Gustav Mahler, dem Bewunderten, und endet mit Ausführungen über die Rolle der Natur im romantischen Lied. Wie sie uns ignoriere, die Natur. Wie wir im romantischen Überschwang alles in sie hineinlegen: mit Bäumen sprechen, Vogelstimmen lauschen, uns einem Bächlein anvertrauen und doch unerhört und einsam bleiben.

Und noch ein Thema kommt unweigerlich zur Sprache: “Ich bin ein absoluter Apple-Macintosh-Fan.’ Auf das Bekenntnis folgt die Eloge des so benutzerfreundlichen Mac.

Mag Hampson, der dem 19.Jahrhundert verfallene, auch manchmal behaupten, er sei in die falsche Epoche geboren: Ohne Internet, Videotelefon und riesige Datenbestände an Büchern und Notenauf dem Laptop wäre sein Dasein nur halb so angenehm. “Es ist wunderbar, in Dubai Urlaub zu machen und dabei in den Beständen der Library of Congress zu stöbern.’

Als Schuljunge sang der Sohn eines Ingenieurs und einer Klavier spielenden Mutter sich durch alle Stimmlagen und blieb dann beim Bariton – ein Hobby. Studierte politische Wissenschaft, Geschichte und Literatur. Erst nach dem BA begann er Kurse in Musik und Gesang zu belegen. Die Liebe zum deutschen Lied schenkte ihm seine erste Gesangslehrerin, eine gedichtbegeisterte, Schubert-besessene amerikanische Nonne. 1980 nahm sich der deutsche Bariton Horst Günther des amerikanischen Orpheus an, und Elisabeth Schwarzkopf lud ihn zu Meisterkursen ein. Sie half dem Hochbegabten auch, seine Stimme gegen die Begehrlichkeiten des Konzertbetriebes zu schützen.

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1981 kam Hampson nach Europa, um sich ein Repertoire zu erarbeiten, und wurde Mitglied im Ensemble der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf. 1984 wechselte er nach Zürich und wirkte am Mozart-Zyklus von Nikolaus Harnoncourt und Jean-Pierre Ponnelle mit. Dort erregte er 1987 in der Titelpartie des “Don Giovanni’ großes Aufsehen.

Sonntagmorgen, 11 Uhr. Gemessenen Schrittes zieht Hampson über den Parkettboden, trägt seine große Stimme vor sich her, lässt sie hoch und nieder durch die Oktaven ziehen. Hält sich die Ohren zu, um besser in den Körper horchen zu können. Unterdessen positionieren zwei Männer die Stehtische für den Abend. Hier wird das Publikum in der Pause seinen Sekt nehmen. Jetzt singt Thomas Hampson, der Star des Konzerts, sich ein. Nebenan spielen die Musiker des SWR-Sinfonieorchesters sich warm. Mahlers “Lieder eines fahrenden Gesellen’ stehen auf dem Programm. Sie mit einem Mahler-Experten wie Hampson aufzuführen, Mitherausgeber der neuen kritischen Mahler-Edition, bedeutet Freude und Herausforderung.

Immer wieder wendet er sich zum Dirigenten Peter Ruzicka, weist auf eine Stelle in der Partitur, wünscht noch mehr, um den “unglaublichen Dialog von Wort, Sinn und Klang’, wie er später schwärmt, zu entfalten. Die Stimme ist samtig schön, kann zart hauchen und mächtig laut tönen. Sie wirbt, buhlt, sehnt, verzweifelt, hasst, weint. “Mahler will alles, und nie darf es sentimental klingen’, lässt er uns nach der Probe auf der Parkbank wissen. Und er als Interpret will alles geben.Nein, in Schönklang zu baden, das ist nicht sein Ziel. “Ich denke nie daran, mich und meine Stimme zu präsentieren.’ Ein gut aussehender Sänger wie Hampson kann seine Außenwirkung getrost den Gaben der Natur anvertrauen. Einer, dessen Kehle seit 25 Jahren Wohlklang verströmt, hat es leicht, sich bescheiden zu geben. Was dem Publikum in Erinnerung bleibt, sind die Momente, in denen es berührt wird. Berührt von der Wahrheit des Gefühls. Diese Momente zu mehren ist Hampsons Ziel.

Ein Liederabend mit ihm ist ein aufwühlendes Erlebnis. Seine Interpretationskunst lässt Bilder aufsteigen und Filme abrollen im Kopf des Zuhörers: Felder, Blumen, Flussläufe. Wir sehen Menschen, den Mund zum Kuss gespitzt, folgen einsam schwankenden Gestalten. Fühlen die Gluthitze der Sonne und die Kühle der Nacht auf der Haut. Erschrecken vor dem glühenden Messer und über die Schwärze der nächtlichen Heide. Die gepflegte Stimme, vor allem in der Mittellage wunderbar, tut das Ihre dazu.

Fußball mit Gott

Seinem Gesprächspartner macht er es leicht. “Ich möchte mich immer wieder von neuem erklären’, entschuldigt er beinahe den angenehmen Redefluss. “Unglaublich’ und “ungeheuer’ sind seine Lieblingswörter. Sie kennzeichnen sein Staunen, seine Begeisterung über beinahe alles, besonders über die deutsche Dichtung. In ihr findet er seinen Kosmos. In ihr ist eigentlich schon alles gesagt, was die Menschen bewegt.

Zum Beispiel über die Spannung zwischen Individualismus und Gemeinschaft. “Wie schützen wir dieses soziale, selbstverständliche Miteinander, das in Europa vorhanden ist? Wie können wir gleichzeitig absolute Individuen sein und Teil eines Wirtschaftssystems?’ Wo andere zögern, nach Worten suchen, hat er Bilder bereit: “Wir steigen alle auf denselben Berg. Wir wählen nur unterschiedliche Wege’ sinniert er zum Thema Religion und ärgert sich über die Fußballclub-Mentalität, mit der die Glaubensrichtungen gegeneinander antreten.

Er spricht von “Landschaften der Seele’, von “Pfaden, die durch unser Leben führen’, und schlägt mühelos den Bogen von seinem Sternzeichen Krebs zur Symbolwelt der Romantik. Mag er über das Wesen des Menschen, die Krise der Kultur oder des Bildungswesens reflektieren, er tut es mit Verve und vielen schönen Worten. Am Ende freilich weiß man nicht immer, was der Kern der Aussage ist. Womöglich, weil ein Star wie er schon in Hunderten von Interviews Rede und Antwort stand. Vielleicht, weil ein Sänger eben kein Philosoph ist. Vermutlich, weil sein hervorragendes Deutsch an Grenzen stößt.

In Wien bewohnt er mit seiner österreichischen Frau eine Jugendstilvilla. “Oh, das ist ein teures Vergnügen. Schreiben Sie, dass der Hampson noch lange nicht daran denkt, mit dem Singen aufzuhören’, spaßt er. Und wenn er einmal aufhört? Dann bleibt mehr Zeit zum Unterrichten. Mehr Zeit zum Golfen. Und für die riesige Plattensammlung. “Jetzt habe ich keine Muße, stillzusitzen und mir alles anzuhören. Aber eines Tages werde ich sitzen müssen…’ Und wieder das herzliche Lachen. Die Leichtigkeit. Woher? “Ich bin ein zutiefst optimistischer Mensch.’

CD: Arias. Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert. Thomas Hampson, Concentus musicus Wien, Nikolaus Harnoncourt. Warner Classics.