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„Gesang ist eine Berufung“ – Bariton Thomas Hampson in Prag

Radio Prague International

Der renommierte Bariton Thomas Hampson ist in vielen namhaften Opernhäusern der Welt aufgetreten: von der Metropolitan Opera in New York über den Londoner Covent Garden bis zur Wiener Staatsoper. Zudem sang der US-Amerikaner in den bedeutendsten Konzertsälen. In Prag trug Hampson am Mittwoch den Liederzyklus „Lingua angelorum“ vor, ein Stück der tschechischen Gegenwartskomponistin Sylvie Bodorová. Martina Schneibergová hat mit dem Sänger nicht nur über diese Komposition, sondern auch über seine Beziehung zu Tschechien gesprochen. Das Interview entstand am Mittwoch vor dem Konzert in Prag.

Herr Hampson, Sie singen jetzt in Prag die Komposition „Lingua Angelorum“ von Sylvie Bodorová. Vor einigen Jahren haben Sie die Komponistin selbst beauftragt, das Werk zu schreiben. Hat Sie dazu die rudolfinische Zeit inspiriert?

„Ich bin schon einige Jahre mit Sylvies Mann Jiří Štilec befreundet. Ich lernte ihn kennen, als wir in Angelegenheiten bezüglich Gustav Mahler zusammengearbeitet haben. Über ihn wurde ich dann auch mit der Komponistin Sylvie Bodorová bekannt. Sie werden es nicht glauben, aber die eigentliche Idee für dieses Werk kam schon 2011. Wir waren an einem sehr winterlichen Abend in Prag unterwegs. Ich war hier in der Stadt, weil ich aufgetreten bin. Wir sprachen darüber, welche Dichter unter Rudolf II. in Prag gelebt haben, und über die Werke, die sie hinterlassen haben. Diese Idee hat uns alle sehr begeistert. Und dann sagte Sylvie, dass 2012 an den 400. Todestag von Rudolf II. erinnert wird. Da haben wir uns die Hände gegeben und abgesprochen, dass wir das gemeinsam machen. Und tatsächlich gab es 2012 die Premiere beim Festival ‚Smetanas Litomyšl‘. Aber endlich kommen wir wieder nach Prag für diese Aufführung. In Prag ist die Komposition noch nie erklungen.“

Das Werk wurde schon in Israel aufgeführt, aber in anderen Ländern noch nicht?

„Zu den Philharmonikern in Israel habe ich ein sehr enges Verhältnis. Ich habe mir gedacht, dass sie an diesem relativ exotischen Werk Freude haben könnten. Sie waren sehr begeistert, aber das Orchester hat sich quergestellt, weil das Stück durchaus kompliziert ist. Letztlich haben sie sich doch noch in das Werk verliebt, und Gianandrea Noseda – ein hervorragender Dirigent – hat sich 2015 oder 2016 in die Sache hineingestürzt. Bis dahin hatte ich ,Lingua Angelorum‘ nicht mehr gesungen. Es war jetzt wirklich eine tolle Wiederauffrischung.“

In dem Stück wird auf acht oder neun verschiedenen Sprachen gesungen – darunter auch auf Tschechisch…

„Tschechisch nur zum Schluss. Es wird in Latein, Italienisch, Alt-Türkisch, Alt-Spanisch, Englisch, Jiddisch, Deutsch, dann wieder Latein und ganz zum Schluss dann Tschechisch gesungen.“

Sie singen in vielen verschiedenen Sprachen, haben Sie diese schon einmal durchgezählt?

„Insgesamt habe ich schon in 14 oder 15 verschiedenen Sprachen gesungen. Man muss eine Sprache nicht beherrschen, um sie singen zu können. Aber man muss natürlich den Text übersetzen, um zu verstehen, um was es geht. Auch heute habe ich meine tschechische Aussprache überprüfen lassen und bin ganz offen für jeden Vorschlag und jede Hilfe, die ich bekomme – besonders in solch einer ungewohnten Sprache. Das Wichtigste ist, dass ich weiß, von was das Gebet am Schluss des Stücks handelt und was es für die Tschechen und das Gesamtwerk bedeutet.“

Kann man sagen, dass Sie sozusagen ein Schirmherr der tschechischen Gustav-Mahler-Gesellschaft geworden sind?

„Zusammen mit Michael Tilson Thomas bin ich Schirmherr der Mahler-Gesellschaft in Tschechien. Und ich arbeite mit Jiří Štilec (Begründer der Gesellschaft, Anm. d. Red.) eng zusammen, der wirklich sein Herzblut dort investiert hat.“

Für die Mahler-Fans ist Kaliště – der Geburtsort des Komponisten – so etwas wie Wallfahrtsstätte…

„Kaliště ist für jeden Mahlerianer eine Wallfahrtsstätte. Ich bin einer der wenigen Künstler, die in seinem Haus gewohnt haben. Es war etwas unheimlich, muss ich sagen. Aber es gibt dort ein sehr schönes Auditorium, und die Landschaft um Kaliště ist wahnsinnig ansprechend und schön. Ich bin auch ein großer Fan von Iglau. Das ist eine sehr schöne Stadt. Vor drei oder vier Jahren habe ich dort in der kleinen Kirche gesungen.“

Sie haben ebenfalls schon Lieder von Antonín Dvořák gesungen. Denken Sie daran, eventuell etwas von einem anderen tschechischen Komponisten darzubieten, vielleicht aus dem 20. Jahrhundert?

„Es gibt schon einige tolle tschechische Komponisten. Am meisten habe ich Dvořák gesungen. Sylvie Bodorová habe ich mit einer kammermusikalischen Bearbeitung der Zigeunerlieder Op. 55 beauftragt. Wir werden sehen, ich bin sehr aufgeschlossen für jede Herausforderung.“

Sie sind schon in mehr als 80 Rollen aufgetreten. Gibt es immer noch eine Rolle, die sie gerne singen würden, zu der Sie aber noch keine Gelegenheit hatten?

„Ja, es gibt schon ein paar Rollen, in die ich mich hineinträumen könnte. Vom Wagnerischen habe ich mich längst verabschiedet. Ich bin der Meinung, dass das nicht mein Gebiet ist. Aber gerne würde ich noch einmal den Amfortas (in Richard Wagners Parsifal, Anm. d. Red.) machen, Hans Sachs (in Wagners Meistersingern von Nürnberg, Anm. d. Red.) hingegen ist nicht meine Sache. Im Bereich der italienischen Oper würde ich mich wirklich über eine Falstaff-Produktion freuen. Es gibt ein paar unbekannte Stücke wie ,I due Foscari‘ (Oper von Giuseppe Verdi, Anm. d. Red.), die mich interessieren, oder ‚Gianni Schicchi‘ (Einakter von Giacomo Puccini, Anm. d. Red.) wäre lustig – das sind halt alles Meisterwerke. Im Moment bin ich sehr beschäftigt mit Werken aus dem 20. Jahrhundert wie ‚Wozzeck‘, Busonis ‚Faust‘ oder einigen Auftragswerken.“

Sie treten sowohl bei Liederkonzerten, als auch in der Oper auf. Machen Sie da einen Unterschied?

„Ich glaube, dass jeder Opernsänger, der sich mit dem Liederfach beschäftigen würde, ein besserer Opernsängersänger wäre und natürlich auch umgekehrt. Ich bin Sänger. Ich singe einiges und Unterschiedliches. Und ich versuche, das menschliche Dasein hörbar zu machen. Manchmal beinhaltet eine Oper eine größere Geschichte, und manchmal eine intimere Geschichte – auf der Liederabendbühne oder der Konzertbühne. Oder bei diesem Stück heute Abend, das einfach 50 Minuten reiner Humanismus ist. Ob Oper oder Konzert, da muss und will ich keine Entscheidung treffen. Gesang ist kein Fach, Gesang ist eine Berufung.“

Sie kommen immer wieder nach Tschechien, waren Sie auch schon vor der Wende im Land?

„Oh ja! Das war schon düster. Ich habe hier sehr viele Freunde gefunden, damals war ich für einen Filmdreh hier. Ich habe damals schon gespürt, dass das System nicht halten wird. Das war nicht die tschechische Seele, eine Rebellion schien zu kommen. Dann habe ich mit Tränen die Wende begrüßt.“