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„Es gibt Rollen, die ich nicht mehr singen muss“

Concerti

Photo: © Marshall Light Studio

Thomas Hampson ist sowohl als Opern- als auch als Liedsänger voller Entdeckungsfreude – was gleichwohl die Trennung liebgewordener Partien nach sich zieht.

Wer Thomas Hampsons geräumiges Pariser Apartment betritt, wird freudig von dessen Hund begrüßt, der dem Sänger während des Interviews fast die Show stiehlt. Seit zwölf Jahren sind die beiden unzertrennlich, und so darf der Vierbeiner auch während des Aufenthalts in der französischen Hauptstadt, wo Hampson für John Adams’ „Nixon in China“ auf der Bühne steht, nicht fehlen.

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Sie haben schon in fast siebzig Opernproduktionen mitgewirkt. Gibt es noch Rollen, die Sie gerne verkörpern würden?

Thomas Hampson: Es gibt eine Handvoll bekannter und unbekannter Rollen, die ich gerne noch interpretieren würde. Für mich ist Verdis Falstaff ein chamäleonartiger Bariton, und ich fühle mich mittlerweile alt genug, ihn zu verstehen. In Deutschland eher unbekannt ist der französische Komponist Albéric Magnard, der die Oper „Guercœur“ geschrieben hat. Sie ist voll von metaphysischen Dialogen und Fragen und besteht aus einer sehr kernigen Musiksprache. Ich war auch sehr froh, als ich eingeladen wurde, in Paris „Le roi Arthus“ zu singen. Das möchte ich zukünftig sehr gerne machen. Außerdem stehe ich immer für Verdis „I due Foscari“ und „Simon Boccanegra“ zur Verfügung. Dafür gibt es Rollen, die ich nicht mehr singen muss. Ich habe schon überall den Macbeth gesungen und sehr viel den oft missverstandenen Mandryka in „Arabella“, das können jetzt andere machen. Ich bin auch durch mit „Don Giovanni“, würde aber sehr gerne und gut einen besoffenen Antonio in „Le nozze di Figaro“ geben (lacht)!

Derzeit stehen Sie als Richard Nixon auf der Bühne der Pariser Opéra Bastille. In John Adams’ Oper geht es um Nixons Besuch in China 1971, den Sie auch miterlebt haben. Wie ist es, dieses historische Ereignis auf der Opernbühne nachzustellen?

Hampson: Es ist sehr spannend. Ich war gerade auf der Highschool, als Nixon nach China gereist ist und Mao getroffen hat. Ich bin in einem politisch interessierten Elternhaus aufgewachsen, es wurde immer viel diskutiert. Mein Vater war Atomkraft­ingenieur, ein sogenannter ­liberaler Republikaner, also von sozialer Sicht her sehr ­liberal, aber sehr konservativ, was Politik und Finanzen anging. Und das hat auch Nixon damals seiner Meinung nach vertreten. Bezüglich der Oper muss man wirklich unterscheiden zwischen Nixons Besuch 1972, der Entstehung der Oper 1987 und ihrer Aufführung in den späteren Jahren, denn die Perspektive auf Nixon hat sich in der Zeit sehr verändert. ­Alice Goodman hat deswegen betont, dass sie keine Literatur nach 1972 gelesen hat, als sie das Libretto für die Oper verfasst hat. Dieses Libretto ist wirklich spannend, denn es zeigt die unterschiedlichen Perspektiven und Philosophien beider Politiker.

Daneben gehören Sie zu den führenden Liedinterpreten, gelten gar als sein »Botschafter«. Was fasziniert Sie so an der Gattung?

Hampson: Viele sehen das Lied als eine erhabene Kunstform. Ich hingegen finde, dass sie eine der zugänglichsten ist. Musik braucht eigentlich keine Worte und Worte keine Musik. Aber wenn sie zusammenkommen, wird eine dritte Kunstform daraus, die den menschlichen Zustand beschreibt, und ich als Künstler bin ihr Stellvertreter. Ich muss also verstehen, was beispielsweise ein Goethe in seinen Gedichten erzählt und was Schubert da herausgelesen hat. Dafür muss man sich auch mit den Epochen und Kulturen auseinandersetzen und sich fragen, was die Musik und die Gedichte als Evidenz unseres Daseins anbieten.

Sie setzen sich für Gleichstellung, mehr Offenheit und Diversität im Musikbetrieb ein und fördern »Black Music«. Was gibt es da zu entdecken?

Hampson: Das ist mir ein besonderes Anliegen und es wird höchste Zeit, dass wir mehr von solchen Projekten in Amerika und auch in Europa etablieren. Ich war sehr froh, als Christoph Lieben-Seutter als Intendant der Elbphilharmonie zugesagt hat, dort im Rahmen der Black Lives Matter-Bewegung mein Konzert-Projekt „Song of America: A Celebration of Black Music“ umzusetzen. Ich wollte damit der afroamerikanischen Musik und der Kreativität dieser Menschen auf eine sehr zugängliche Art Gehör und Anerkennung verschaffen. Wir müssen uns fragen: Was bedeutet es, amerikanisch zu sein? Was ist amerikanische Musik? Sie kann von Afroamerikanern, Amerikanern mit irischen Vorfahren oder von jüdischen Amerikanern stammen. Es existieren in diesem Land so viele verschiedene Kulturen, das sollten wir erkennen und feiern. Reverend Al Sharpton, Bürgerrechtler und eine große Persönlichkeit in den USA, hat einmal gesagt: „Ich möchte nicht farbenblind sein. Ich möchte euer Weißsein feiern und ich möchte, dass ihr mein Schwarzsein feiert.“ Und dahinter stehe ich mit ganzem Herzen.

Was steckt eigentlich hinter dem amerikanischen Lied, dem American Song?

Hampson: Die Kernaussage meiner Arbeit auf diesem Gebiet ist eigentlich, die Geschichte der amerikanischen Kultur durch die Augen unserer Poeten und die Ohren unserer Komponisten zu erzählen. Ich möchte nicht wissen, wer unser Schubert, Brahms oder Tschaikowsky ist, stattdessen bin auf Entdeckungsreise durch Kulturen gegangen, angefangen mit meiner eigenen. Die Lebendigkeit der Musik ist ganz vielfältig von der Kultur her und sehr epochenabhängig.

Sie sind Mentor, Professor und geben Meisterklassen. Wie muss der Nachwuchs gefördert werden, um in der Branche Fuß zu fassen?

Hampson: Heutzutage ist es für den Nachwuchs viel schwerer, die „Fischgrätenleiter“, wie ich sie nenne, hinaufzuklettern. Ich will nicht auf alles schimpfen, aber es ist eine andere Industrie geworden, und junge Künstler werden oft als billige Arbeitskräfte ausgenutzt. Da wird teilweise nach Lautstärke, Timbre und Typ entschieden. Wenn die ersten beiden Eigenschaften gegeben sind, kann man mal über eine mollige Figur hinwegsehen. Wenn man sich zwischen zwei Musikern nicht entscheiden kann, wird nach Followern auf den sozialen Medien geschaut … Wirklich?! Man erwartet einen sofortigen Erfolg beim Nachwuchs, möchte dann aber auch nicht, dass er zu teuer wird. Am Ende stecken die Sänger total in der Zwickmühle und können ihr Talent und ihre Persönlichkeit kaum entwickeln. Das sehe und verstehe ich, aber mein Interesse liegt gerade bei ihrer Entwicklung. Deswegen bin ich auf dem Gebiet so leidenschaftlich engagiert, man könnte sogar sagen, dass mir die Nachwuchsförderung neben dem Singen die liebste Leidenschaft ist. Ich versuche ihnen die technischen Grundlagen des Singens und Kenntnisse über ihren Körper zu vermitteln, die ich damals bei einer Nonne gelernt habe, die wiederum bei Lotte Lehmann studiert hat.

Neben Ihren Tätigkeiten an Universitäten und Nachwuchsprogrammen fördern Sie junge Sänger vor allem in der Liedakademie des Heidelberger Frühlings. Was müssen die Bewerber mitbringen, damit Sie mit ihnen arbeiten?

Hampson: Das ist ein subjektiver Prozess und die Entscheidung fällt mir immer sehr schwer. Manchmal scheitert es einfach an der schlechten Video- oder Tonqualität, denn ich höre mir die Bewerbungen immer blind an. Ich muss also in relativ kurzer Zeit durch die stimmliche Qualität überzeugt werden. Aber die größten Fragen sind: Wem kann ich behilflich sein? Kann das, was ich anbiete, auch angenommen werden?

Spielen Sie noch Golf?

Hampson: Und wie! Leider habe ich in der letzten Saison so wenig gespielt wie noch nie. Das hat verschiedene Gründe: Zum einen habe ich ein gewisses Knieleiden, zum anderen ist Golf ein sehr zeitaufwändiger Sport, so dass es manchmal schwer ist, alles unter einen Hut zu bekommen. Aber ich spiele schon mein ganzes Leben und freue mich auf ein paar freie Tage im Frühjahr, die ich mit Kumpels auf dem Golfplatz verbringen werde.