Eine Nonne machte ihn zum Sänger

Seine Stimme ist betörend schön. Auf der Opernbühne liebt er die gebrochenen Figuren. Seine Konzertprogramme sind klug durchdacht. Jetzt wird der Bariton Thomas Hampson siebzig Jahre alt.
Ob seine Freude an jedem musikalischen Genre mit Oberflächlichkeit zu erklären sei oder mit Ernsthaftigkeit, hat der amerikanische Bariton Thomas Hampson gesagt, wisse er nicht. Was seine Hörer fasziniert, gerade die kritischen, ist der Ernst, mit dem er sich dem vermeintlich Leichten widmet. Sein Kunstsinn ist in Cole Porters karibischem Tanzlied „Begin the beguine“ ebenso erkennbar wie in Gustav Mahlers „Ich bin der Welt abhanden gekommen“. Den in den beiden ersten Dekaden seiner Laufbahn erworbenen Ruhm setzte er ein, um bei den Salzburger Festspielen 2001 vier Recitals unter dem Titel „I hear America singing“ zu präsentieren.
Der in Spokane, Washington, geborene Hampson hatte bereits erste Wettbewerbserfolge vorzuweisen, als er im Alter von 20 Jahren auf eine Nonne traf, die bei Lotte Lehmann studiert hatte und ihm den Weg wies: „Junger Mann, Gott hat Dich zum Sänger gemacht, und Du hast die Verantwortung, einer zu werden. Wenn Du so weit bist, diese Verantwortung zu übernehmen, ruf mich an.“ Als Mahnung wies sie ihn an, das „Mediokre zu meiden“, und gab ihm eine Schubert-Aufnahme des Baritons Gerhard Hüsch mit. Was ihm gleich auffiel, war der „eminente Tonsinn“, den er später beim Studium an der Southern University of California auch bei seinem zweiten Lehrer, dem deutschen Bariton Horst Günter, bewunderte.
Harnoncourt holte ihn nach Zürich
Obwohl ihm der erste Preis bei den Met Auditions (1981) die Karrieretür geöffnet hatte, nahm er die Chance wahr, sich bei Elisabeth Schwarzkopf in das deutsche Liedrepertoire einzuarbeiten. Nach seinem Debüt in der Londoner Wigmore Hall, einem Sanctissimum des Liedgesangs, sammelte er an der Düsseldorfer Rhein-Oper erste Bühnenerfahrungen.
Seine Stimme ist ein lyrischer Bariton mit edlem, betörend schönem Timbre, sicherem Klangfundament und leichter, heller Höhe, aber ohne die vibrierende Energie von Baritonen wie Lawrence Tibbett, Leonard Warren, Cornell MacNeil oder Sherrill Milnes, deren Erbe er in den dramatischen Partien Verdis vielleicht weniger antreten wollte als sollte. Der Erfolg, den er als Marquis Posa verbuchte, beruhte besonders darauf, dass er die Partie auf Französisch singen konnte – mit dem spezifisch geschmeidigen Klang der vokalen ars gallica.
Ohne die Macht der Macho-Stimme
Er selbst hat beklagt, dass gerade bei Verdi die „quantity of voice“ wichtiger geworden sei als die „quality of voice“. Die hat er, auch ohne die Macht der Macho-Stimme, in reichem Maße zu bieten: ein nobles Timbre, einen fein modulierten und farbreichen Klang und eine ausgefeilte Technik mit strömendem Legato, dynamischer Variabilität und quecksilbriger Agilität.
Eine Aufnahme des „Largo al factotum“ aus dem „Barbier von Sevilla“, mitgeschnitten bei einem Rossini-Jubiläumskonzert 1989, geriet zur atemraubenden Presto-Sillabato-Kür, übergipfelt von einem hohen C in der Kadenz. Für die Lieder von Schumann und Mahler findet er den für die romantische Lyrik passenden süß-bitteren Schmerzenston, ohne den weichen Klang der Kopfstimme durch einen Tränenton zu verweichlichen. Zu hören ist dies beispielsweise in den Aufnahmen mit Leonard Bernstein.
Auf der Opernbühne zeigt er besonderes Interesse für gebrochene, zwiespältige Figuren: verlorene Seelen wie Hamlet von Ambroise Thomas, Eugen Onegin von Tschaikowsky oder Billy Budd von Britten. Die Aufnahme von Szymanowskis „König Roger“ war eine Rettungstat für die lange nicht beachtete Oper. Als Meister der schon erwähnten ars gallica ist er in Massenets „Werther“ und „Thaïs“ zu bewundern. Von der Vielseitigkeit des polyglotten Sängers zeugen zahlreiche Recitals: stets sinnvoll programmierte Arien-Sammlungen und wie kluge, kontrastreiche Lied-Programme. Heute wird der nach wie vor allüberall tätige „borderline workaholic“, als den Thomas Hampson sich bezeichnete, siebzig Jahre alt.