Ein Schwarm wider Willen
Interview aus der Zeitschrift Woman, Ausgabe 05/2005
Dass böse Menschen keine Lieder haben, glaubt Thomas Hampson nicht. Trotzdem würde er sich überall dort ruhig niederlassen, wo man singt: Denn wenn man die Lieder der Menschen kennt, so meint der amerikanische Star-Bariton mit Wohnsitz in Österreich, so lernt man, sie zu verstehen – auch seine Feinde.
Beim 32. Internationalen Musikfest im Wiener Konzerthaus tritt der weltweit gefeierte Sänger und Gustav-Mahler-Spezialist mit ausgewählten Liedern aus “Des Knaben Wunderhorn’ auf (3. und 6. Juni), am 12. 6. ist er gemeinsam mit Renée Fleming in der konzertanten Aufführung der Massenet-Oper “Thais’ zu hören.
WOMAN besuchte Thomas Hampson in seiner wunderschönen Jugendstilwohnung in Wien, wo er mit seiner Frau Andrea Gräfin zu Herberstein den Ruhepol zwischen seinen Konzertreisen gefunden hat.
Woman: Sie sind Mahlerspezialist. Was fasziniert Sie an Gustav Mahler?
Hampson: Gustav Mahler war als Schriftsteller, Denker, Komponist und Wahrzeichen seiner Zeit nicht nur wichtig für die Entwicklung der Wiener Jahrhundertwende – er ist ein unverzichtbarer Baustein in der geistigen Entwicklung der Menschen überhaupt. Wir sind ja immer noch nicht fertig geworden mit der unwahrscheinlichen Ansammlung von Gedanken und Emotionen, die der erste Weltkrieg zerstört hat. Vielleicht wollen wir gar nicht damit fertig werden …
Woman: Sie lieben besonders die Lieder aus “Des Knaben Wunderhorn’ …
Hampson: Was wir heute für ein Kinderbuch halten, ist ein Handbuch zur Revolution! Es hat sicher wesentlich zur Entwicklung des Freiheitsgedanken beigetragen und wäre deshalb ja auch beinahe der damaligen Zensur zum Opfer gefallen. Und als die Komponisten des ausklingenden 19. Jahrhunderts versuchten, den “Urton’ des Menschen zu finden, suchten sie nach unmanipulierten sprachlichen Aussagen dazu, nach Worten als Metapher des Gedankens – und wurden in “Des Knaben Wunderhorn’ fündig. Sogar der unglaublich gescheite Goethe hat sinngemäß gesagt: Wenn auf der Erde überhaupt ein Buch existiert, an dem man sich orientieren kann, dann dieses.
Woman: Wie kommt man als junger Mensch auf die Idee, klassischer Sänger zu werden?
Hampson: Ich hatte in der Schule auch ganz andere Absichten – wenn überhaupt eine Absicht vorhanden war! Der Musikwelt bin ich später durch meine Gesangslehrerin begegnet, einer gedichtbegeisterten, Schubert-besessenen Nonne. Diese Begeisterung, mit der wir von Generation zu Generation die spannende und vielfältige Welt von Literatur, Musik, Geschichte vermitteln sollten, ist so wichtig! Mit diesem Wissen können wir Menschen zusammen feiern, was wir geschafft haben, können wir unsere Gegenwart wirklich wahrnehmen und gemeinsam ein bißchen gescheiter in die Zukunft schauen. Wenn wir etwas über andere Menschen wissen wollen, müssen wir zuerst einmal lesen, welche Gedanken sie versucht haben niederzuschreiben. es ist verdammt schwer, auf jemanden zu schießen, dessen Gedichte man schätzt.
Woman: Sie beeindrucken nicht nur mit Ihrer Stimme, sondern auch mit Ihrer optischen Erscheinung. Muss man als Bühnenkünstler auch bis zu einem gewissen Grad eitel sein?
Hampson: Ich glaube, dass ich nicht eitel bin. Ich hoffe es zumindestens, denn ich halte Eitelkeit für keine angenehme Eigenschaft. Ich finde, man sollte bei einem Liederabend irgendwie geschmackvoll gekleidet sein, und das hat nicht unbedingt etwas mit Designer-Mode zu tun. Bei einer Frau ist das etwas anderes. Wenn Anna Netrebko oder Reneé Fleming in Designerkleidern auftreten, unterstreicht das ihren Auftritt und verändert die Wahrnehmung des Publikums. Die Garderobe eines Mannes spielt auf der Bühne eine ungleich geringere Rolle.
Woman: Wie wichtig ist Ihnen persönlich gutes Aussehen?
Hampson: Natürlich bin ich prinzipiell dankbar, wenn jemand meint, dass ich gut aussehe. Und ich bin mein ganzes Leben in der Maske gewesen – daher muss ich meine Haut pflegen. Da hat meine Frau direkten Einfluss drauf, das ist ihr Hobby, wie wir wohl wissen. Immer wieder schmiere ich ein anderes Zeug auf meine Haut! Aber ich kann in meiner Freizeit auch ziemlich leger im Haus herumlaufen.
Woman: Ganz ehrlich: Tut es dem Ego nicht wohl, wenn die Frauen für einen schwärmen?
Hampson: Ganz ehrlich: Von diesem immer wieder erwähnten Frauenschwarm nehme ich nicht viel wahr. Das heißt nicht, dass ich es nicht schätze. Es freut mich, wenn es für jemanden ein Impuls ist, zum Konzert zu gehen, der das sonst vielleicht nicht täte. Aber ich möchte diesen Menschen schon in den ersten zehn Minuten durch die Musik begeistern und ihm eine andere Welt eröffnen. Dass ich mir dann vielleicht auch noch das Jacket ausziehe oder das Hemd, nur damit die Leute sagen: Wow, der Typ ist toll – das liegt mir nicht. Tut es mir als Mann gut, immer wieder zu hören, dass einige Frauen mich gern anschauen? Selbstverständlich, danke vielmals! Man ist gern geschätzt. Aber es ist nicht der Grund, warum ich existiere.
Woman: Ihr Vater ist Atomkraftingenieur. Sind Sie selbst auch technisch begabt?
Hampson: Schon, aber nicht in Physik oder Chemie. In diesem Sinne war ich für meinen Vater wahrscheinlich eine Enttäuschung. Ich als Musiker – das war ihm völlig fremd und er machte sich natürlich eine gewisse Zeit lang unsagbare Sorgen, dass ich auf Pfaden wandle, die nirgendwo hinführen. “Don’t waste life – vergeude dein Leben nicht’ war einer der absoluten Lebenssprüche, die mir meine Eltern mitgegeben haben. Heute ist er aber sehr stolz auf mich.
Woman: Was ist für Sie der Sinn des Lebens?
Hampson: Der Sinn des Lebens ist für mich die Frage danach. Ich habe ein grundsätzliches Misstrauen gegen Leute, die für alles einen fertigen Plan oder Antworten haben. Gott heißt das, Mensch heißt das, Leben heißt das, Land heißt das – eine Fussballmentalität: Mein Club kann das, dein Club kann das, Streitpunkt. Völlig uninteressant! Einen anderen Menschen zu akzeptieren, den ich teilweise überhaupt nicht verstehe, das finde ich spannend. Das ist für mich auch Demokratie. Wenn man sagt: Ich glaube hunderprozentig an etwas, Sie glauben hundertprozentig an etwas anderes, trotzdem sitzen wir zusammen und ich mache sogar Kaffee für Sie. Aber diese Endspiel-Mentalität, in die wir auf der ganzen Welt eingetreten sind, die finde ich höchst gefährlich. Endspiel der Wirtschaft, Endspiel in der Poilitik, Endspiel in der – um Gottes Willen – Religion … Haben wir in den letzten 300 Jahren nichts gelernt?
Woman: Sie sind viel unterwegs, leben in Hotelzimmern. Dabei ist für Sie als Krebs das Heim ja besonders wichtig …
Hampson: Ich versuche, mir immer mein Umfeld zu erhalten – das heißt, ich reise mit ziemlich viel Zeugs! Bücher, Soundsystem, CDs, Räucherstäbchen. Oder Badezusatz – das ist etwas was ich von meiner Frau gelernt habe: Etwas Schönes zu riechen und zu hören und dabei ein Bad zu nehmen – da kann man wirklich die Welt vergessen …
Woman: Ist es nicht schwer, so selten mit seiner Familie zusammenzusein?
Hampson: Ja, es ist schwer. Eine der größten Rechnungen, die man zahlen muss als reisender Künstler. Aber wir achten sehr auf unser Privatleben. Andrea und ich sind ja aus anderen Ehen gekommen, wir haben einander fast auf einer metaphysischen Ebene gefunden. Und wir haben von vornherein gesagt: Mehr als zwei Wochen sind wir voneinander nicht getrennt. Sie fliegt, ich fliege. Es gibt überhaupt keinen Tag, seit ich sie kenne, an dem ich nicht mit ihr gesprochen habe. Natürlich ist unsere Telefonrechnung ein Horror, wie Staatsschulden. Meine ganze Familie hat jetzt Computer, wir schicken uns E-Mails und Fotos und treffen einander auch regelmäßig im Audio-Chat. Und wenn ich dann einmal zu Hause bin, genieße ich das unwahrscheinlich. Nach einer Woche hier in Wien ist es sehr schwer, wieder das Flugzeug zu besteigen …
Woman: Sie wollen mit Ihrer “Hampsong Foundation’ das internationale Lied fördern …
Hampson: Ja, ich will das, was mich begeistert, auf einer Plattform zugänglich machen. Mich interessiert, warum Menschen tun und glauben, was sie tun und glauben. Das Lied ist ja das Tagebuch jede menschlichen Sehnens und Ahnens. Ich möchte mit der Hampsong-Foundation ein Versuchslabor der Erkenntnis schaffen. Den Zugang zur Welt der Phantasie erleichtern und die Menschen dabei unterstützen sich selbst besser kennenzulernen. Wenn wir unsere Lieder kennen, kennen wir auch einander besser, unsere Herkunft, unsere Gegenwart, unsere Perspektiven.
Woman: Sie werden im Juni 50. Bedeutet diese Zahl etwas für Sie? Oder ist Ihnen das egal?
Hampson: Es ist mir nicht egal. Es ist ein Jubel-Gräuel-Tag. Ich hab keine Angst davor, alt zu werden. Ich habe mich noch nie stärker und klarer gefühlt als jetzt, inspiriert von verschiedensten Einflüssen. Ich genieße das sehr. Meine liebe Frau ist auch 50 und wir freuen uns auf den nächsten gemeinsamen Lebensabschnitt. Bedauerlich finde ich höchstens Enwicklungen, wie etwa eine gewisse Standardlosigkeit. Wenn eine Veranstaltung oder ein Album gut verkauft wird, also wenn es gelingt, ein Produkt in einer messbaren Art zu positionieren, dann heißt es: Aha, das war eine gute Idee. Das halte ich nicht für gesund. Besonders in der Kunst tauschen wir die Wahrhaftigkeit der Aussage oft gegen einen Publikumserfolg ein.
Woman: Gibt es ein Ziel, dass Sie bei allen Erfolgen auf jeden Fall erreichen wollen?
Hampson: Mir ist mehr die Beschaffenheit des Ziels wichtig als das, was ich tatsächlich erreiche. Meine Gesundheit, meine Familie, die Wahrnnehmung von Leben, die Verantwortung, aber auch der Genuss – dass ich das in Balance halte, das ist mir wichtiger, als ein Projekt um jeden Preis durchzusetzen. Mag sein, dass unsere Gesellschaft manchmal Kompromislosigkeit und Egoismus fordert. Aber ich fühl mich nicht dazu berufen.