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An der Spitze

Artikel aus der Zeitschrift News, Ausgabe 51-52/02
Von Heinz Sichrovsky

Thomas Hampson, Bühnenperson des Jahres. Er prägte eine tolle Staatsopernsaison und, keineswegs schmerzfrei, den Salzburger Neubeginn.

Das Theaterjahr 2002 war nicht erregend. Die Großmeister Zadek und Bondy haben schon heller geglänzt, ein interessanter “Talisman’ am Volkstheater fing nicht nur den Regie-“Nestroy’ ab, sondern bilanziert wegen zahlreicher Reprisen auch als zuschauerreichste Aufführung des Jahres.

Das Jahr der Oper. Dafür entfaltete die Oper alle Pracht, derer sie fähig ist – und fast jedes Mal war der Bariton Thomas Hampson, 47, in zentraler Position beteiligt. Er war Titelheld der Staatsopern-Triumphe “Der Riese vom Steinfeld’ und “Simon Boccanegra’. Nicht ohne Schmerzen bezwang er schließlich die Königsetappe, “Don Giovanni’ unter Harnoncourt und Kusej. Damit stand die neue Ära Ruzicka in Salzburg von der ersten Stunde an prächtig da. Im Herbst erregte Hampson via NEWS durch seinen Wahlaufruf für Schüssel Aufsehen.

Die Oper leuchtet. Wir erreichten ihn, erschöpft und euphorisch, am Morgen nach der Premiere von Massenets “Thais’ in Chicago. Es war seine fünfte Neuproduktion und sein viertes Rollendebüt in acht Monaten. Worauf er denn das unverminderte Leuchten der Oper in Krisenzeiten zurückführe? “Die Menschen suchen verzweifelt nach Klarheit in einer Zeit, in der nichts mehr gilt: Religion, Moral stehen infrage, weit gründlicher als in den späten sechziger Jahren. Die Oper ist jene Kunstform, die uns hilft, unsere Vernunft wieder in uns selbst zu finden. Wir suchen die wundersame Erleuchtung aus dem Zusammenspiel von Musik, Text und der Seele, die in beiden wohnt. Es gibt keine Oper, in der diese Wahrheit nicht enthalten ist: dass wir etwas daraus nehmen und einander als Menschen besser verstehen können.

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‘Triumph des “Riesen’. Die dicht gedrängten Abenteuer des Jahres 2002 haben für ihn erst im Juni mit der Welturaufführung der Oper “Der Riese vom Steinfeld’ begonnen. Friedrich Cerha und Peter Turrini schufen die Außenseitergeschichte um einen vorgeblichen Dorftrottel, riesig an Leib und Seele. Hampson, der auf halbmeterhohen Plateausohlen zum Triumph stakste: “Die ungeheure Aufmerksamkeit in Ehren, aber warum ist das eigentlich so einzigartig? Selbst in den fünfziger und sechziger Jahren hat es mehr Uraufführungen gegeben. Jetzt hat sich unsere musikalische Sprache so interessant entwickelt, die Avantgarde erlaubt sich wieder, Melodien anzubieten – aber wo sind die neuen Opern? Jedes große Haus sollte zumindest alle zwei Jahre ein Auftragswerk realisieren.’ Weshalb das Werk so berührt hat? “Es geht darum, wie wir uns dem Fremden und Unbequemen gegenüber verhalten, wie wir es ausnützen und missachten. Und es geht darum, dass jeder Mensch eine Seele hat.’

“Don Giovanni’ als Neuland. Mozarts “Don Giovanni’ hatte er schon gesungen, sogar unter Nikolaus Harnoncourt. Doch als man gemeinsam in Salzburg zur entscheidenden ersten Premiere der Ära Ruzicka antrat, war alles anders. Martin Kusej hatte das Werk in eine Welt gestylter Kälte gestellt. Hampson: “Mit den ,Giovanni’-Proben habe ich begonnen, als ich noch die letzten Vorstellungen des ,Riesen’ zu singen hatte. Das war schon sehr komisch, und ich habe im Zug von Wien nach Salzburg viel gegrübelt. Dazu kam, dass Martin Kusej eine völlig andere Perspektive bewirken wollte als diejenige, die ich kannte. Der Juli war eine Zeit hoher Anspannung und Gespaltenheit, aber ich bin ein positiver Mensch und will das Beste aus allem machen. Ich bin auch entschlossen, es bei der Wiederaufnahme im Sommer nochmals von vorn anzugehen. Kusej und ich sind uns einig, dass es bedeutende Änderungen geben muss.’ Zusatz: “Ich schätze Herrn Kusej und halte ihn für einen sehr intelligenten Kopf. Ich glaube, wir haben beide einen interessanten Gesprächspartner gefunden. Aber ohne ihn beleidigen zu wollen, muss ich sagen: Seine Ästhetik ist nicht immer die meine, und ich bin in vielem immer noch nicht seiner Meinung. Da müssen wir als Profis die gemeinsame Basis finden: zwischen dem so genannten Traditionellen und der Werktreue einerseits – und seiner sehr weit reichenden Phantasie. Man muss auch die Grenzen und Möglichkeiten des Operngenres im Auge behalten. Darin war wohl die zwischenzeitliche Frustration begründet. Aber wir haben es fast geschafft.’

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Mortier vs. Ruzicka. Wie beurteilt er die Ära Ruzicka, vor allem im Kontrast zu Mortier? Mortier hat in seinen zehn Jahren Bahnbrechendes geleistet. Er ist nur in den Sog der österreichischen Innenpolitik geraten, und sein letztes Jahr ist ihm zu einer Art persönlichem Racheakt missglückt. Das ändert nichts an meiner Bewunderung, es frustriert mich nur, denn er ist größer als das, was er da zuletzt gezeigt hat. Dr. Ruzicka ist eine faszinierende Person, ganz anders als Mortier. Ich fand sein erstes Programm interessant, ebenso wie das des kommenden Sommers. Die Frage ist, ob es dramaturgisch so schlüssig gebaut ist wie das des großen Programmatikers Mortier. Aber das ist keine Kritik – die beiden sind nur verschieden. Woran die Festspiele allerdings ernstlich arbeiten müssen, ist das Administrative.

‘Ereignis “Simon Boccanegra’. Fast in unmittelbarer Folge kam im Herbst Verdis “Simon Boccanegra’ an der Staatsoper auf ihn zu, eine neue Rolle in der Regie Peter Steins, der zuletzt gern als Altmeister des Konventionstheaters gehöhnt wurde. Hampson fuhr einen der umfassendsten Triumphe seiner Karriere ein: “Für mich war diese Arbeit nach dem Juli und August heilend. Meine Einstellung zur Regie ist bekannt: Ich begrüße sie, wenn sie ein Stück erzählt. Wieder hat sich gezeigt, dass es nicht immer nötig ist, über ein Werk gewaltsam ein Konzept zu legen. Ich fürchte, dass wir heute im Begriff sind, über dem allgemeinen Trend zu Event und Entertainment die fast heilige Kraft dieser Kunstform zu verlieren. Wenn man zum Beispiel von ,Don Giovanni’ nicht überzeugt ist, muss man natürlich etwas anderes damit machen. Das schmerzt mich als Künstler. Ich habe eine unbegrenzte Energie, Menschen zu meiner geliebten Kunst zu führen. Aber ich habe nur eine sehr begrenzte Energie, Kunst in Formen zu bringen, die sich nicht aus der Quelle speisen.’

Kommt die Krise? Die Wahlheimat Österreich befinde sich im Zustand des Paradieses, grüßt er abschließend aus der Ferne. Apokalyptische Anwandlungen angesichts der Wirtschaftskrise? “Ich bin absolut besorgt’, sagt Hampson. “Aber meine Sorge betrifft weniger die Subventionen als das Grundsätzliche: dass Kinder nicht mehr mit Werten aufwachsen, dass die Einstellung zur Schönheit fehlt. Es gibt genügend Geld für die Kunst, aber es muss auch von privater Hand kommen. Die Regierung muss die Freiheit der Kunst schützen. Aber automatischer Geldgeber kann sie in Zeiten der Wirtschaftskrise nicht sein. Deshalb müssen Privatsponsoren als Teil eines kulturpolitischen Deals anerkannt und steuerlich entlastet werden. Österreich wäre geeignet, in Europa an der Spitze all dieser Veränderungen zu stehen. Das Land ist gesund, ich lebe unendlich gern hier. Wenn man so viel wie ich unterwegs ist, weiß man erst, wie schön dieses Land ist. Ich bin voller Zuversicht.’ Und die ist in diesen Zeiten das Requisit der Stunde.