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Kultur24 Berlin: Thomas Hampson im Pierre-Boulez-Saal

Kultur24 Berlin

Ein Liederabend der Sonderklasse mit Thomas Hampson

Zum Auftakt einer Schubert -Woche im  Pierre-Boulez-Saal begeisterte Thomas Hampson mit einem außergewöhnlichen Konzert.

Thomas Hampson ist immer für eine neue Musikerfahrung gut, selbst wenn ein scheinbar ganz unspektakulärer Schubert-Liederabend im Berliner Pierre-Boulez-Saal auf seinem  Programm steht. Wie  so oft wagte er sich auch hier in eher unbekannte Nischen vor, um dem lieb gewordenen Genuss des  Altbekannten die Entdeckung des Unbekannten entgegen zu setzen. Die Auswahl aus dem schier unendlichen Schatz der ungefähr 600 Lieder von Franz Schubert, die Hampson zusammen mit Wolfram Rieger, seinem kongenialen Dauer-Partner am Klavier, traf, erstaunte, standen doch nur wenige der immer wieder gehörten „Schlager“ auf dem Programm, stattdessen fiel seine Wahl auf vertonte Gedichte, die in ihrer inhaltlichen Wucht bedrückten, zumindest aber nachdenklich stimmten. „Gebet während der Schlacht“ (Text Theodor Körner) ist in seiner Gott anflehenden Verzweiflung ein furchtbares Manifest gegen den Krieg. Ebenfalls von Körner gedichtet, mit ähnlichem Inhalt, nur weicher formuliert „Amphiaraos“ , der auf Zeus Wort hin seine Rosse in den Abgrund der Schlacht lenkt, „Sehnsucht“ (Text Friedrich von Schiller) ein Ausblick auf den Tod, „ Der entsühnte Orest“  (Text Johann Mayrhofer) ,der sich auf der Liebe Wellen schwebend nach dem jenseitigen Leben sehnt, und als großes Werk in der Mitte des Abends die Schillersche Ballade „Der Taucher“, dessen Tragik, musikalisch atemberaubend gestaltet, nur Schweigen gebietet.

Keine leichte Kost auch die anderen Lieder. Gut für die aufgewühlte Zuhörerschaft, dass  „An die Leier“  den besänftigen Abschluss bildete. Das war kein Schubert –Programm, dem man sich genüsslich hingeben konnte, das waren Lieder, mit denen die Künstler etwas aussagten. Wie ein Neu­lan­d­ent­de­cker zeigte Hampson mit gro­ßer Treff­si­cher­heit Schuberts Viel­falt. Seine suggestive Gesangskunst gab ihm dabei nicht nur die Möglichkeit, der emotionalen Dramatik dieser frühromantischen und dabei so furchtbar zeitlosen Lieder gerecht zu werden, sondern darüber hinaus – und das ist das eigentliche Ereignis dieses Abends – das Publikum mit beeindruckender Ausdruckskraft in un­ge­ahnte see­li­sche Be­zir­ke der Musik zu führen.

Es ging um Schubert, aber es ging ebenso um Thomas Hampson, der sich die Aussagen der Lieder zu eigen machte. Wer ihn kennt, weiß, wie sehr ihm daran gelegen ist, mit seiner Kunst den poetisch- gedanklichen Inhalt von Werken zu vermitteln und nicht etwa darum, gesangstechnische Perfektion oder die Schönheit seiner Stimme in den Mittelpunkt zu stellen. Mit seiner ganzen Persönlichkeit stellt er sich in den Dienst dieser Sache, die sein Leben ausmacht und man wünschte sich, dass die vielen Studenten der Workshops im Publikum genau diese Haltung mitnehmen auf ihren künstlerischen Weg: Es geht um etwas – es geht um viel! Jeder im Saal musste das spüren.

Vom ersten Augenblick seines Auftretens an bis zur letzten, tiefen, fast demütig wirkenden Verbeugung am Schluss wurde der ausverkaufte Saal von der Aura des Sängers  beherrscht. Natürlich kommt ihm seine  Attraktivität und seine jahrzehntelange Berühmtheit zugute, aber der Grund der Ausstrahlung erschloss sich auf ganz andere Weise: Hampson ergab sich so vollkommen der Musik, die in ihm zu entstehen schien, dass nichts mehr Raum hatte außer seiner Kunst. Die Unbedingtheit seiner Hingabe ließ eine dichte Atmosphäre höchster Konzentration entstehen.

Es war die Authentizität seines Vortrags, mit der er diese kraftvollen, teils auch melancholischen Lieder lyrisch, dramatisch, temperamentvoll, zart, mit voller Stimme oder zurück genommen in weiches Piano, mit Leben füllte, die unvergleichbar ist. Kein Ton war nebensächlich, nichts wurde der sängerischen Routine eines „Altmeisters“ überlassen. Der  scheinbar unvergängliche Wohlklang  seiner warmen, hellen Bariton Stimme, die auch  hochdramatische Phrasen (wie in dem Parforceritt von “ Der Taucher“ ) mit faszinierender Leichtigkeit bewältigte, vermittelte ein Gefühl großer innerer  Freiheit, aus dem heraus Hampson seine Lied- Interpretationen zu schöpfen scheint.

Augenblicke der Stille vor dem Applaus zeugten davon, dass es ihm gelungen war, Ohren und Herzen gleichermaßen zu bewegen. Auch wenn es nicht erklang, so lag doch am Ende Schuberts berühmter Lobpreis „An die Musik“ wie eine Zusammenfassung dessen, was durch die Kunst dieses Sängers und seines wunderbaren Pianisten möglich wurde.

English

A special Lieder recital with Thomas Hampson

To kick off a Schubert week in the Pierre Boulez Hall, Thomas Hampson thrilled with an extraordinary concert.

Thomas Hampson is always good for a new musical experience, even if a seemingly quite unspectacular Schubert song recital is on his program in Berlin’s Pierre Boulez Hall. As so often before, he ventured here into unknown niches in order to oppose the discovery of the unknown to the enjoyment of the old familiar. The selection from the almost infinite treasure of the approximately 600 songs by Franz Schubert, which Hampson played with Wolfram Rieger, his congenial permanent partner at the piano, stunned, but only a few of the repeatedly heard „hits“ were on the program instead his choice fell on toned poems, which were depressed in their content, but at least thoughtful. „Prayer during the battle“ (text Theodor Körner) is in his God-begging despair a terrible manifesto against the war. Also written by Körner, with similar content, only softer worded „Amphiaraus“, who steers his steeds into the abyss of battle on Zeus’s word „Sehnsucht“ (text by Friedrich von Schiller) a view of death, „The Redeemed Orest“ (Text Johann Mayrhofer), who longs for the life of the next wave floating on the waves of love, and as a great work in the middle of the evening the Schiller ballad „Der Taucher“, whose tragedy, musically breathtaking, only silences.

Good for the troubled audience that „An die Leier“ made the soothing graduation. This was not a Schubert program that one could relish, these were songs with which the artists said something. Like a new-land explorer, Hampson showed Schubert’s diversity with great accuracy. His suggestive vocal art not only gave him the opportunity to do justice to the emotional drama of these early romantic and timeless songs, but beyond that – and this is the real event of the evening – gave the audience impressive expressiveness in unexpected spiritual districts of music.

It was about Schubert, but also about Thomas Hampson, who made the statements of the songs to his own. Anyone who knows him knows how keenly he intends to use his art to convey the poetic-intellectual content of works and not to focus on vocal perfection or the beauty of his own voice. With his whole personality, he puts himself at the service of this thing that makes his life and one wished that the many students of the workshops in the audience take exactly this attitude on their artistic path: It’s about something – it’s about a lot! Everyone in the room had to feel that.

From the first moment of its appearance to the last, deep, almost humble bow at the end, the sold-out hall was dominated by the aura of the singer. Of course, it benefits him from his attractiveness and his decades-long celebrity, but the reason of the charisma opened up in a very different way: Hampson surrendered so completely to the music that seemed to arise in him, that there was nothing left but his art. The absoluteness of his devotion created a dense atmosphere of highest concentration.
It was the authenticity of his performance that filled these powerful, sometimes melancholic, lyrical, dramatic, spirited, tender, full-voiced, or soft-piano songs with life that is incomparable. No sound was incidental, nothing was left to the vocal routine of an „old master.“ The seemingly imperishable euphony of his warm, bright baritone voice, which also mastered highly dramatic phrases (as in the perfurcer of „The Diver“) with fascinating ease, mediated feeling of great inner freedom from which Hampson seems to draw his song interpretations.

Moments of silence before the applause testified that he had managed to move both ears and hearts alike. Even if it did not sound, at the end of Schubert’s famous „To the Music“ praise there was a summary of what was possible through the art of this singer and his wonderful pianist.