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Der Mahler-Maniac

Die Welt | 11. Juli 2010
von Ilja Stephan

Der Geschäftsführer der Hamburger Gustav- Mahler-Vereinigung, Georg Borchardt, wird in den nächsten Monaten einiges zu tun bekommen. Ab Ende eines jeden Konzertes mit Musik von Mahler überreicht der Mann mit der markanten Prinz-Eisenherz-Frisur dem ausführenden Maestro nämlich eine Rose. In der Saison 2010/2011 stehen nun gleich zwei große Mahler-Jubiläen an: Am 7. Juli 2010 jährte sich Mahlers Geburtstag zum 150. Mal; am 18. Mai 2011 wird seines 100. Todestages gedacht.

Um den Doppeljubilar gebührend zu feiern, haben sich jetzt erstmals alle Hamburger Orchester und der größte private Konzertveranstalter für ein gemeinsames Projekt zusammengetan: Im Rahmen der Konzertreihe “Mahler in Hamburg” wird dessen symphonisches Gesamtwerk und ein Großteil des Liedschaffens in 27 Konzerten und Veranstaltungen zu hören sein.

Eröffnet wird das Mahler-Jahr in Hamburg am 14. Juli im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF) von Christoph Eschenbach und dem Festival-Orchester. Auf dem Programm stehen die Fünfte Symphonie und die Rückert-Lieder. Solist ist einer der großen Mahler-Interpreten unserer Zeit und zugleich die prägende Figur des Mahler-Jahres, Thomas Hampson. Der amerikanische Bariton wird nicht nur von den “Liedern eines fahrenden Gesellen” bis zum “Lied von der Erde” in Hamburg alles singen, was es für sein Stimmfach bei Mahler zu singen gibt. Hampson bietet außerdem ein Kolloquium “Mahler’s Life through his Songs – Mahlers Leben in seinen Liedern” an.

Es passt kein Blatt zwischen Thomas Hampson und seinen liebsten Forschungsgegenstand, Gustav Mahler. Kein Einwand, der je gegen dessen emotional überrumpelnde, ausufernde und auch mal banale Musik formuliert wurde, ficht Hampson an: “Ich leide an einer Faszination der akzeptierten Schwächen. Nichts bei ihm lehne ich ab, auch das nicht, was ich nicht ganz verstehe. Es führt mich immer zu einem Grund. Selbst das Banale ist nur deshalb banal, um zu zeigen, dass das, was folgt, eben nicht banal ist.”

Thomas Hampson ist nicht nur Mahler-Fan, sondern auch Mahler-Experte. Offenkundig kennt er jeden renommierten Mahler-Forscher, hat sie alle gelesen, oder diskutiert gar regelmäßig mit ihnen. “Mahler ist ein absoluter Orientierungspunkt in meinem Leben”, bekennt der Sänger in einer unnachahmlichen Mischung aus gutem Deutsch mit amerikanischem Akzent und koketten wienerischen Einsprengeln. Ein “bisserl” oder ein “so g’hört’s” schleicht sich ab und an in seine wissenschaftlich-profunden Ausführungen ein, wenn er sprachlich in die Rolle des Wiener Hofoperndirektors schlüpft.

Für Hampson ist die Begegnung mit dem Komponisten Gustav Mahler ein Weg zu einer vertieften Selbsterkenntnis. “Gesündere und reifere Fragen” an das Leben “und vielleicht auch Antworten” sucht er in dessen Musik: “Mahlers Epoche bietet ein unerschöpfliches Gebiet an Anschauungen und philosophischen Zusammenhängen. Mit dem Ersten Weltkrieg ist diese Entwicklung abgebrochen – und vielleicht haben wir von damals noch etwas zu lernen.”

Auch im Zentrum von Hampsons Denken über Mahler steht dabei die Frage nach dem autobiografischen Gehalt von dessen Werken: “Ich bin absolut überzeugt, dass Mahler alles im Leben in Tönen erlebt hat. Er hat einen Baum gesehen, ein Gesicht, eine Reaktion, das Benehmen eines Kindes, was auch immer, banal oder groß, und er hat sofort Töne gehört.” Die Spuren dieses Erlebens in Mahlers Partituren nachzuweisen, reizt natürlich auch den Forscher Hampson.

Doch der Sänger-Forscher weiß auch, dass damit wenig gewonnen wäre. “Letztendlich geht es bei diesem oder jenem Intervall nicht um dieses Gesicht oder jenen Baum.” Wichtiger ist für Hampson, dass bei Mahler letztlich alles ins Philosophische, Universelle und Idealistische ziele: “Beharrt man zu sehr auf der Vorstellung, dass Mahler musikalische Geschichten erzählt habe, bleibt der Horizont zu eng. Die Zusammenhänge bleiben zu klein. Mahlers Begriffe sind ziemlich tief und ziemlich weit.”

Thomas Mann hat in seinem Roman “Doktor Faustus” der Wahlverwandtschaft zwischen dem kunstreligiösen Absolutismus in der deutschen Musik und dem fatalen Totalitarismus in der deutschen Politik nachgespürt. Auch Gustav Mahler stand ihm dabei vor Augen. Die Bemerkung, dass der in seiner Arbeit ebenso fanatische wie diktatorische Mahler Gott sei Dank nur Dirigent geworden sei, entlockt Thomas Hampson immerhin ein trockenes Lachen. Doch behandelt er diese Facette seines Idols am liebsten im Konjunktiv.

Die “mystische Möglichkeit” einer unbewussten und tiefen Verbindung mit seiner Epoche wolle er nicht ausschließen, so Hampson: “Vielleicht ist in seine musikalische Sprache einiges eingeflossen, was Mahler geahnt haben mag, aber selber nicht hätte auseinander setzen können.” Solch kritischen Aspekten bei Mahler widmet sich das an die Konzertreihe “Mahler in Hamburg” angeschlossene Symposium nicht. Die Bemerkung des Chefdirigenten der Hamburger Symphoniker, Jeffrey Tate, Mahlers Sinfonien seien “überfrachtet bis zum Masturbatorischen”, wird wohl die einzige Ketzerei bleiben. Dass die Website zum Mahler-Zyklus im Design der Hamburg Marketing GmbH gestaltet ist, lässt zumindest befürchten, dass Ketzer und Kritiker von den Markenstrategen auch nicht unbedingt eingeplant sind.

Zu feiern gibt es schließlich genug. Vom offiziellen Auftakt des Mahler-Zyklus am 30. August 2010 mit dem “Lied von der Erde” bis zum krönenden Höhepunkt am 20. Mai 2011 mit der “Symphonie der Tausend” in der Color Line Arena gilt in Hamburg fast ein Jahr lang die Devise: Mahler total.

Online: Mehr über das Hamburger Mahler-Jahr erfahren Sie unter: mahler-in-hamburg.de