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“Doktor Faust” at the Zurich Opera House

Procure me the unconditional fulfilment of my every wish for the rest of my life, let me embrace the world – the East and the South, which call out to me –, let me understand completely man’s actions and extend them in unheard-of ways; give me genius, and give me also his suffering, so that I may be happy like no other.
Ferruccio Busoni, Doktor Faust

Ferruccio Busoni (1866-1924)
DOKTOR FAUST

Debut performance: May 21 1925, Opernhaus Dresden

Conductor: Philippe Jordan
Producer/production: Klaus Michael Grüber, Ellen Hammer
Set design: Eduardo Arroyo
Costumes: Eva Dessecker
Lighting: Jürgen Hoffmann
Choir rehearsal: Jürg Hämmerli

CAST
Sandra Trattnigg: Herzogin von Parma
Thomas Hampson: Dr. Faust
Gregory Kunde: Mephistopheles
Günther Groissböck: Wagner/ Zeremonienmeister
Reinaldo Macias: Herzog von Parma/ Soldat
Andreas Winkler: Tenor 1/ Krakau 1/Wittenberg 1
Randall Ball: Tenor 2/ Belzebub/Wittenberg 2
Martin Zysset: Tenor 3/ Leutnant/Wittenberg 4
Miroslav Christoff: Tenor 4/ Megaros/ Wittenberg 5
Gabriel Bermudez: Bariton 1/ Asmodus/ Naturgelehrter
Mathew Leigh: Bariton 2/ Krakau 2/ Wittenberg 3
Thilo Dahlmann: Bass 1/ Krakau 3
Giuseppe Scorsin: Bass 2/ Theologe/ Gravis
Günther Groissböck: Bass 3/ Jurist/ Levis

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Performance dates:
» Su, 24.09.2006
» We, 27.09.2006
» Sa, 30.09.2006
» Tu, 03.10.2006
» Th, 05.10.2006
» Su, 08.10.2006
» Su, 12.11.2006
» Su, 19.11.2006

«Dies wird mein Haupt- und Staatswerk…»

Leben und Werk Ferruccio Busonis sind eng mit Zürich und dem Zürcher Musikleben verbunden: Während des Ersten Weltkrieges sah sich der Komponist und Klaviervirtuose deutsch-italienischer Herkunft plötzlich mit der Situation konfrontiert, dass seine beiden Heimatländer – die Mutter war deutschstämmig, der Vater Italiener – gegeneinander Krieg führten und er sowohl in Deutschland als auch in Italien zur persona non grata geworden war. Schweren Herzens entschloss er sich, ins Exil zu gehen – nach Zürich. Hier wurden die beiden Einakter «Turandot» und «Arlecchino» 1917 uraufgeführt, und hier entstand auch ein grosser Teil der «Faust»-Partitur. Nicht nur deshalb gehört der «Doktor Faust» nach 35 Jahren wieder auf die Bühne des Zürcher Opernhauses.

«Von Kind auf hat ein Stück mich hingerissen, darin der Teufel was zu sagen hat.»

Über Umwege gelangte Busoni zurück zum Ausgangspunkt seiner Suche nach einem geeigneten Opernstoff, zum «Faust». Andere grosse Figuren der Literaturgeschichte wie Don Juan oder Merlin hatte der Komponist als Protagonisten seiner neuen Oper in Betracht gezogen, auch Leonardo da Vinci hatte ihn vorübergehend als Opernfigur interessiert. Doch Busoni kam vom «Faust» nicht los – von dem Stück, das ihn «von Kind auf hingerissen» hatte, wie es im Prolog des Dichters an die Zuschauer in der Oper «Doktor Faust» heisst. Ausgerechnet der Faust-Stoff aber war – auch für Busoni – natürlich untrennbar mit Goethe verbunden; die «Ehrfurcht vor der übermächtigen Aufgabe» machte es dem Komponisten schwer, sich an eine Vertonung von Goethes Tragödie zu wagen. Erste Skizzen für das Libretto entstanden zwar schon 1910 während einer Meisterklasse in Basel, noch auf Goethe basierend; die entscheidende Idee für das Libretto, die ihn aus dem Schatten Goethes befreien sollte, kam Busoni aber erst, als er sich noch einmal intensiv mit den Quellen beschäftigte, die Goethe für seinen «Faust» verwendet hatte: das Volksbuch und vor allem das Puppenspiel in einer Ausgabe von Karl Simrock, das ihm nun als Grundlage für sein eigenes Libretto dienen sollte. Kurz vor Beginn seiner Amerikatournee und kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs schrieb Busoni die erste Fassung des Librettos in nur sechs Tagen «wie in einem Fieber» in Berlin nieder. Nach Ende der Tournee kehrte der Komponist nicht mehr nach Berlin zurück, sondern fuhr direkt nach Zürich, wo er sich bis September 1920 niederliess und weiter an seinem «Doktor Faust» arbeitete.

«Es sollte die Oper des Übernatürlichen oder des Unnatürlichen … sich bemächtigen und dergestalt eine Scheinwelt schaffen, die das Leben entweder in einen Zauberspiegel oder einen Lachspiegel reflektiert; die bewusst das geben will, was in dem wirklichen Leben nicht zu finden ist. Der Zauberspiegel für die ernste Oper, der Lachspiegel für die heitere. Und lasset Tanz und Maskenspiel und Spuk mit eingeflochten sein, auf dass der Zuschauer der anmutigen Lüge auf jedem Schritt gewahr bleibe und nicht sich ihr hingebe wie einem Erlebnis.»

Die Oper, das Musiktheater soll also nach Busoni gerade das auf die Bühne bringen, was wir in der Realität nicht erleben – das Übernatürliche, Zauberhafte, Spukhafte bot der Faust-Stoff dem Komponisten im Übermass, und die fragmentarische, Traum-hafte Struktur des «Doktor Faust» gründet sich auf diese Überlegungen.

Busonis Libretto-Fassung verzichtet zu Beginn auf den grossen Studienmonolog Fausts, auch dies, um sich gegenüber Goethe abzugrenzen und beim Zuschauer keine falschen Erwartungen zu wecken, wie Busoni sagt. Die Ausgangssituation ist jedoch derjenigen bei Goethe nicht unähnlich: Faust, ein vereinsamter, am Leben verzweifelter Wissenschaftler, dem die höchste Erkenntnis bisher versagt blieb, erhält von drei geheimnisvollen Studenten aus Krakau ein magisches Buch zur Geisterbeschwörung; Mephistopheles erscheint, Faust geht mit diesem einen Pakt ein und begibt sich mit ihm auf eine (Traum-)Reise.

Die erste Station dieser Reise ist eine romanische Kapelle, in der Faust und Mephistopheles einen Soldaten beobachten, ins Gebet vertieft; es ist des Mädchens Bruder, der auf Rache für den Tod seiner Schwester sinnt – die Gretchen-Tragödie ist nicht in Busonis Oper eingeflossen, sondern liegt hier namenlos bereits in der Vergangenheit. Ein Mord passiert: Mephistopheles lässt den Soldaten auf Fausts Geheiss töten; sonst wäre dieser dem Rachedurst von Gretchens Bruder zum Opfer gefallen.

Beschaffe mir für meines Lebens Rest die unbedingte Erfüllung jeden Wunsches, lass mich die Welt umfassen – den Osten und den Süden, die mich rufen –, lass mich des Menschen Tun vollauf begreifen und ungeahnt erweitern; gib mir Genie, und gib mir auch sein Leiden, auf dass ich glücklich werde wie kein anderer.
Faust, Vorspiel II, «Doktor Faust»

Nun begeben sich Faust und Mephistopheles nach Italien, an den Hof des Herzogs von Parma; und hier beginnt, wie Busoni schreibt, sein «eigenes Drama», losgelöst sowohl von Goethe als auch vom Puppenspiel. Man feiert die Hochzeit des Herzogs und der Herzogin, die Faust sofort zu erobern beschliesst. Mit ein paar Zaubertricks – er lässt die alttestamentarischen Liebespaare König Salomon und die Königin von Saba, Samson und Dalila sowie Salome und Johannes erscheinen – zieht er den Hof mitsamt der Herzogin in seinen Bann. Die Herzogin folgt ihm; später wird sie ein Kind von ihm bekommen, doch da ist Faust schon längst wieder auf der Reise.

In einer Schenke, zurück in Wittenberg, diskutiert Faust mit Studenten. Die Frage eines Studenten nach den Frauen, die Faust gekannt hat, löst die Erinnerung an die Herzogin aus. Aufs Stichwort erscheint Mephistopheles mit der Nachricht, die Herzogin sei gestorben – und wirft Faust, zum Entsetzen aller Anwesenden, das tote neugeborene Kind der Herzogin vor die Füsse. Mephistopheles verwandelt das Kind in eine Strohpuppe, die er anzündet; aus den Flammen steigt das Bild Helenas auf. Sobald Faust die vollkommene Schönheit berühren will, entzieht sie sich ihm. Schlagartig wird Faust die Sinnlosigkeit seines bisherigen Strebens, sein Versagen klar: «Der Mensch ist dem Vollkommenen nicht gewachsen. Er strebe denn nach seinem eigenen Masse und streue Gutes aus, wie es ihm gegeben.» Doch zu spät: Es erscheinen die drei Studenten aus Krakau, die Faust zu Beginn des Stückes das magische Buch überreicht hatten, um es ihm wieder abzufordern – Fausts Zeit ist um.

Im letzten Bild kehrt Faust zu seinem Haus zurück; darin wohnt nun Wagner, sein ehemaliger Famulus, nun Rector Magnificus. Faust spricht eine Bettlerin an, die vor der Kirche kauert – es ist die Herzogin, die ihm noch einmal sein totes Kind überreicht. Diesmal nimmt Faust das Kind an und überträgt ihm in einer magischen Handlung sein Leben. Faust stirbt, das Kind, nun in einen jungen Mann verwandelt, lebt weiter.

«Ich litt für die ganze Welt, und ich wurde – heimatlos.»

Busonis «Dr. Faust» ist Fragment geblieben; der Komponist starb 1924 und konnte die Oper, die er als sein «Haupt- und Staatswerk» bezeichnet hatte und die ihm in besonderer Weise am Herzen lag, nicht vollenden. Die in der Partitur fehlenden Stellen, die Erscheinung Helenas und der Schlussmonolog Fausts, hat sein Schüler Philipp Jarnach – der Busoni übrigens während seines Exils in Zürich kennen gelernt hatte – ergänzt; in dieser Form wurde die Oper 1925 in Dresden uraufgeführt. In den achtziger Jahren hat der Dirigent Anthony Beaumont bis dahin unberücksichtigt gebliebene Skizzen Busonis entdeckt und eine neue Bearbeitung des «Doktor Faust» vorgelegt, die 1985 in Bologna uraufgeführt wurde; am Opernhaus Zürich jedoch wird die Fassung von Philipp Jarnach erklingen.

«Doktor Faust» hat Busoni über 20 Jahre seines Lebens beschäftigt; entstanden ist ein musikalisch-künstlerisches Selbstportrait des Komponisten. Dass der Pakt zwischen Faust und Mephistopheles am Ostertag geschlossen wird, hat seinen Ursprung nicht nur in Goethes «Faust»: Busonis Geburtstag am 1. April fiel im Jahre 1866 auf Ostern; «Tag meiner Kindheit», singt Faust. Auch Fausts Auftritt am Hof von Parma als fahrender Magier lässt sich mit Busonis Leben in Verbindung bringen: als Klaviervirtuose war Busoni ein ständig Reisender, der seine «magischen» Künste an immer neuen Orten unter Beweis stellen musste. Und in der Schenkenszene, in der Katholiken und Protestanten miteinander streiten, mag der Gegensatz Italien-Deutschland impliziert sein, der Busonis Leben prägte; zudem wird Faust hier als «Meister» im Kreis seiner Studenten gezeigt – Busoni leitete seit 1921 in Berlin eine Meisterklasse. Und schliesslich ist die nicht unproblematische Entstehung der Oper in gewisser Weise ihr Gegenstand: Thema des «Doktor Faust» ist auch die Vollendung eines grossen Werkes, über dem Faust zu Beginn der Oper verzweifelt, bevor er seine Hoffnung auf die magischen Kräfte setzt; «So sei das Werk vollendet», singt Faust im Schlussmonolog.

Busonis geistig-seelische Verfassung während seines unfreiwilligen Exils in Zürich war von dem Gefühl der Isolation und Heimatlosigkeit geprägt; «Ich fühle mich allmählich einsamer, ohne dass ich mich von den Menschen entferne», heisst es in einem Brief an die Baronesse Oppenheimer. Anthony Beaumont berichtet, dass sich Busoni gegen Ende seines Lebens immer stärker in sich selbst zurückgezogen habe; sein Interesse galt mehr und mehr den «dunklen und unerklärbaren Seiten der menschlichen Psyche».

Diese Verfassung spiegelt sich auch im «Doktor Faust», einer Oper nicht zuletzt über einen isolierten Menschen, dem es nicht einmal durch die Liebe gelingt, die Gefangenschaft im eigenen Ich zu überwinden.