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Der Traum von Freiheit

Thomas Hampson. Der baritonale Superstar aus den USA gestaltet einen eigenen Zyklus im Konzerthaus: mit amerikanischen Liedern – I Hear America Singing -, Gesängen von Gustav Mahler sowie Massenets Thaïs. An der Staatsoper ist er 2005 als Boccanegra, Amfortas, Tell und Falstaff zu erleben.

Bühne

Er bezeichnet sich selbst als “lyrischen Bariton mit dramatischen Attacken”, dessen Lieblingsrollen komplexe, frustrierte Antihelden wie Don Giovanni, Faust, Hamlet oder Eugen Onegin sind. Neuerdings zählen auch Simon Boccanegra, Macbeth, Amfortas oder Mandryka zu den Glanzrollen des Opernstars Thomas Hampson, der mit seinem hell timbrierten Bariton, seiner expressiven Stimmgewalt und Schauspielkunst einer der begehrtesten Opernsänger der Welt ist.

Götterliebling. Doch damit nicht genug: Der äußerst attraktive Amerikaner, der Anfang der 90er Jahre vom US-Magazin People unter die 25 schönsten Menschen der Welt gereiht wurde, ist auch einer der raren intellektuellen Sänger im internationalen Musikbusiness; nicht zu Unrecht trägt er in Feuilleton- und Kollegenkreisen den Spitznamen “The Thinker’ oder “Der Professor’. Hampson hat nicht nur als begnadeter Lied-interpret Maßstäbe gesetzt, sondern sich auch als Musikwissenschaftler und Herausgeber der kritischen Editionen von Schumanns Dichterliebe und Mahlers Liedern aus der Sammlung Des Knaben Wunderhorn einen Namen gemacht. Im Herbst 2003 rief der perfekt deutsch sprechende US-Beau die Hampsong-Foundation, eine Stiftung für Liedkultur, ins Leben, über die DVD- und Internet-Projekte romantischer Komponisten – Mahler, Wolf, Schumann, Schubert – finanziert werden. Es ist in der Tat selten, daß ein Sänger alle Vorzüge an Stimme, Musikalität, Technik, Intelligenz, Erscheinung, Charme und Humor in so hohem Maß vereint wie Thomas Hampson.

Wien-Offensive. Heuer beglückt der in New York und Tokio, Paris und London gefeierte Publikumsmagnet seine Wiener Fans mit einem ungewöhnlich dichten Programm. An der Wiener Staatsoper, deren Kammersänger er ist, verkörpert Hampson im April Verdis Dogen von Genua, Simon Boccanegra, in Peter Steins klassizistischer Inszenierung; im Juni gibt er neben Plácido Domingo sein Wien-Debüt als wunder Gralskönig Amfortas in Wagners Parsifal – eine Partie, die er schon 2001 in Paris und London triumphal gemeistert hatte; im September schlüpft er in die Rolle von Rossinis Guillaume Tell, und am 5. November singt er in einer Gala zur Wiedereröffnung der Staatsoper vor 50 Jahren Mozarts Erotomanen Don Giovanni.

Als eiskalter Verführer hatte er 2002 unter Nikolaus Harnoncourt und Martin Kus?ej die Salzburg-Intendanz von Peter Ruzicka eröffnet: Atemberaubend seine verhetzte, lebensklammernde Champagner-Arie, wunderbar lyrisch das Ständchen, hocherotisch das Duett Giovannis mit Zerlina – eine subtile Verführungsszene, die sich bis zum Beinahe-Ersticken steigerte. Im Mozartjahr 2006 wird Hampson die zweite Salzburger Don Giovanni-Wiederaufnahme noch einmal singen; im heurigen Sommer begnügt er sich mit Giorgio Germont in Verdis La Traviata.

An der Wiener Staatsoper hingegen steht am 20. Dezember ein lange erwartetes, spektakuläres Verdi-Debüt auf dem Programm: Unter der musikalischen Leitung von Daniele Gatti singt Thomas Hampson Sir John Falstaff, Shakespeares drastisch ramponierten, fetten Ritter in Verdis genialer lyrischer Komödie.

Kunst aus Amerika. Das Wiener Konzerthaus darf sich ähnlicher programmatischer Sternstunden rühmen, ist dem Ausnahmesänger mit dem unwiderstehlichen Pianissimo und der makellosen Diktion doch heuer ein eigener Abonnement-Zyklus gewidmet. Im Februar startet der baritonale Superstar aus den USA mit vier Veranstaltungen unter dem Titel I Hear America Singing, in denen er die Welt des amerikanischen Konzertliedes erforscht. Der erste amerikanische Nationaldichter Walt Whitman gibt dem “Hampson-Project’ seinen Titel: “I hear America singing, the varied carols I hear ‘ An zwei Abenden singt Hampson Lieder amerikanischer Komponisten wie Charles Ives, Edward MacDowell, Samuel Barber oder Aaron Copland, dazu kommen ein Vortrag und ein Symposion zum Thema Artists in America, Art from America.

Die nächsten beiden Konzerte im Juni sind dem visionären Liedkomponisten Gustav Mahler gewidmet. “Ich liebe Mahler und lerne jeden Tag von ihm’, sagt Hampson, dessen fulminante Interpretationen der Lieder des Vollenders und Vernichters der deutschen Romantik als unerreichte Elementarereignisse immer wieder aufs neue bestürzen und staunen machen.
Zum Abschluß seines Konzertzyklus bietet Thomas Hampson noch einen Leckerbissen für Opernfreunde: eine konzertante Aufführung von Jules Massenets selten gespielter, schwüler Comédie-lyrique Thaïs unter Michel Plasson mit Renée Fleming in der Titelrolle und ihm selbst als fanatischem Mönch Atha-naël, welcher der schönen Kurtisane verfällt. Szenisch war die in Flammen der Leidenschaft lodernde Produktion im Dezember 2002 an der Lyric Opera of Chicago zu erleben.

Photo: Bühne / Johannes Ifkovits

Thomas Hampson. Der Starbariton über Kunst in Amerika, die Lieder Mahlers, Falstaff in Wien und Mozart in Salzburg.

BÜHNE: Einen Zyklus I Hear America Singing gab es schon 2001 in Salzburg. Was ist anders im Konzerthaus?

HAMPSON: Der Titel bleibt derselbe, I Hear America Singing ist ein Zitat von Walt Whitman, das ist das Herz, die Seele dieses Projekts, dem immer neue Aspekte hinzugefügt werden. Ich habe auch schon kleinere Porträts von I Hear America Singing in Amerika gemacht, sogar ein Multi-Media-Projekt, das man auf meiner website unter www.hampsong.com besuchen kann. In Salzburg ging es um die Vertonung amerikanischer Lyrik – Schwerpunkt Walt Whitman und Emily Dickinson – durch europäische Komponisten, zum Beispiel Britten oder Kurt Weill. Das Projekt I Hear America Singing jetzt im Konzerthaus – ein Liederabend mit einem Einführungsvortrag, ein Symposion und ein Orchesterkonzert – behandelt ausschließlich Music from America, also amerikanische Komponisten, die sowohl europäische als auch amerikanische Gedichte vertont haben; Charles Griffes, Charles Ives oder Edward MacDowell haben deutsche Lyrik vertont, Goethe oder Heine, da sind sehr schöne deutsche Lieder entstanden. Einige davon habe ich schon
vor elf Jahren im Mozartsaal gesungen.

BÜHNE: Diese Lieder sind hier nicht sehr bekannt.

HAMPSON: Unterschiedlich. Es gibt Bekanntes und völlig Unbekanntes. Aber darum geht es gar nicht. Feldeinsamkeit von Charles Ives zum Beispiel ist eine der schönsten Vertonungen dieses Gedichtes, die ich kenne. In jedem Fall ist mein Amerika-Projekt immer wieder ein Abenteuer, weil dieses Repertoire, das Lied im allgemeinen und das amerikanische Lied im besonderen, eben nicht so bekannt ist.

BÜHNE: Zu Ihren Auftritten kommt das Publikum auf jeden Fall, egal, was Sie singen

HAMPSON: Ich hoffe, sie kommen auch, um neue Lieder zu hören. Allerdings kann ich schon mit Raritäten mehr Leute erreichen als ein noch unbekannter Sänger, weil man mir vertraut und folgt, auch wenn ich etwas Neues singe. Mit I Hear America Singing möchte ich dem Publikum jenes amerikanische Gedankengut nahebringen, das diese Gedichte und die Musik beinhalten, den “American Spirit’, das amerikanische Abenteuer. Was bedeutet es, in Amerika zu sein, Amerikaner zu sein, Künstler in Amerika zu sein? Diese Lieder, die über die Natur und die Landschaft erzählen, über Liebe und Eifersucht, Leben und Tod geben Aufschluß darüber. Amerika ist ja nicht nur ein physischer Ort, es ist auch immer ein Ort der Gedanken und Träume gewesen; besonders im 19. Jahrhundert, als der Freiheitsdrang und das Ideal der Demokratie in Amerika im Zentrum standen.

BÜHNE: Heute ist das in den USA nicht mehr so?

HAMPSON: Ich meine das Ideal der Freiheit ganz allgemein; das ist ja keineswegs eine amerikanische Erfindung, denken Sie nur an Schiller. Ich finde es schade, daß die romantische Idee der Freiheit – und Amerika war immer ein Symbol dafür – heute im politischen Alltag von weniger humanistischen Gedanken und Aktionen verdrängt worden ist. Viele Leute werfen den Amerikanern ja vor, daß sie der Welt Freiheit und Demokratie aufdrängen wollen. Mir geht es in meinem Projekt aber keineswegs um realpolitische Fragen, sondern um die philosophischen Ideale Amerikas, die seelische Einstellung, von der die amerikanische Kunst spricht. Die Sehnsucht nach Amerika in der Kunst ist der Traum von Freiheit.

BÜHNE: Die nächsten beiden Abende im Konzerthaus widmen Sie den Liedern Gustav Mahlers.

HAMPSON: Ich liebe Mahler besonders und bin fasziniert von der Bildersprache des romantischen Liedes. In meinem Konzerthaus-Zyklus mache ich ein Mahler-Programm mit Klavier-Begleitung, ein zweites in den Orchester-Fassungen. Mahler selbst hat seine Lieder sowohl am Klavier als auch mit Orchester gespielt, kammermusikalisch; die Klavier-Versionen sind keineswegs Vorstufen der Orchester-Fassungen, wie man lange geglaubt hat, sondern eigenständige Werke. Die Lieder eines fahrenden Gesellen werde ich in der Schönberg-Bearbeitung singen, die Kinder-totenlieder wieder in der Klavier-Fassung; und die 15 Lieder aus Des Knaben Wunderhorn möchte ich mischen, auf beide Konzerte aufteilen, zuerst mit Klavier, dann mit Orchester.

BÜHNE: Sie haben ja selbst die kritische Edition von Des Knaben Wunderhorn herausgegeben.

HAMPSON: Ich habe an der kritischen Ausgabe mitgewirkt, um es richtig und bescheiden zu formulieren. Jetzt ist eine neue Edition der Kindertotenlieder in Planung, und ich werde die Forschung wieder unterstützen. Bei dieser musikhistorischen Auseinandersetzung mit Mahler wurde mir klar, daß ich für solche wissenschaftlichen Arbeiten eine bessere Struktur brauche; also habe ich eine Stiftung für Liedkultur ins Leben gerufen, die Hampsong-Foundation, die unter anderem Forschungs- und Internet-Projekte unterstützt.

BÜHNE: Am Schluß Ihres Konzerthaus-Zyklus steht Jules Massenets Oper Thaïs mit Renée Fleming.

HAMPSON: Ich wollte zum Abschluß eine selten gespielte Oper konzertant machen, und weil ich die französische Oper sehr mag, aber in Wien außer Guillaume Tell noch nichts dergleichen gesungen habe, dachte ich zuerst an Werther – in der Baritonfassung. Doch dann habe ich mich für Thaïs entschieden, weil Werther jetzt neu an der Staatsoper kommt und weil die wunderbare Renée Fleming, mit der ich Thaïs vor zwei Jahren in Chicago gemacht habe, mir geradezu euphorisch zugesagt hat. Dann habe ich Michel Plasson gefragt, der auch sofort dabei war; ich denke, wir sind ein sehr gutes Team für diese Oper. Thaïs ist ein tolles Stück und auch konzertant sehr spannend. Massenet wird hier viel zuwenig gespielt, er war ein großer Theatermann, durchaus mit Verdi zu vergleichen.

BÜHNE: An der Wiener Staatsoper singen Sie heuer fünf verschiedene Rollen: Boccanegra, Amfortas, Wilhelm Tell, Don Giovanni bei der Jubiläumsgala und – Falstaff

HAMPSON: Das ist doch toll, ich freue mich sehr. Mein Rollendebüt als Falstaff – eine Traumrolle, eine neue, große Herausforderung; Falstaff ist eine wunderbare Baritonpartie, auch wenn er immer wieder etwas tiefer besetzt worden ist. Aber ich denke bei meiner Rollenauswahl nicht an Stimmtypus oder “Fach’, ich muß mit meinem Gesang die Persönlichkeit einer Figur kreieren. Ich bin geradezu fanatisch, die Noten so zu singen, wie Verdi sie notiert hat; andererseits ist die Erschaffung einer Figur natürlich viel mehr, als nur die Töne zu treffen. Falstaff ist eine gewaltige Figur mit einem enormen Ego; eine Rolle, für die man einige Bühnenerfahrung braucht, um sie glaubhaft darzustellen. Verdis letzte Oper ist zwar eine “Komödie’, aber Sir John ist alles andere als ein einfältiger Tölpel. Das Komische dieser Figur grenzt ans Tragische; es geht um die Wahrheit, um das Leben in seinen vielen Facetten, in seiner Erbärmlichkeit und Lächerlichkeit – ein ganz ernstes Thema. Eine ähnlich komplexe Verdi-Figur
ist Rigoletto, eine fast unwirklich schöne Gesangsrolle; seine Verzweiflung und Liebe bricht mir immer das Herz.

BÜHNE: Wahrscheinlich zögern die meisten Regisseure, einen ausgesprochen schönen Mann wie Sie als fetten Schwerenöter oder buckligen Hofnarren zu besetzen

HAMPSON: Wenn das so wäre, würde ich das ziemlich blöd finden. War ich schön als alter Froila in Schuberts Alfonso und Estrella, als Cerhas monströser Riese vom Steinfeld, als todkranker Amfortas? Ich bin auch Schauspieler, und ich liebe das Theater; ich finde es toll, mich in verschiedene Figuren zu verwandeln. Meine besten Rollen sind keineswegs die strahlenden Helden, sondern die frustrierten Romantiker. Und vergessen Sie nicht, daß ich in erster Linie Sänger bin, der die Zerbrechlichkeit oder die Verkommenheit einer Figur durch den Gesang ausdrücken kann; die Handlung wird durch die Musik erzählt. Oper ist eine musikalische Gesangskunstform, und die Inszenierung kann niemals wichtiger sein als die Musiksprache.

BÜHNE: Sie sind seit 17 Jahren Star der Salzburger Festspiele. Was erwarten Sie vom neuen Intendanten?

HAMPSON: Die Intendanz der Salzburger Festspiele ist eine äußerst komplexe Aufgabe; man sollte Jürgen Flimm in Ruhe arbeiten lassen, sein Programm wird für sich sprechen. Ich liebe Salzburg und wünsche mir, daß es bei diesem so wichtigen Festival um die Kunst geht, nicht um den Kartenverkauf und die Quote. Wenn es noch einen Ort auf der Welt gibt, wo das Künstlerische Vorrang hat und das Finanzielle selbstverständlich nachkommt, ist es Salzburg. Jürgen Flimm hat mir für 2007 die künstlerische Leitung des Salzburger Pfingstfestivals angeboten; ich finde das sehr interessant und habe gerne zugesagt. Das Programm wird eine philosophische Auseinandersetzung mit der Idee Pfingsten sein. Die Pfingstfestspiele in Salzburg waren ja in erster Linie ein Barockfestival. Wir werden diesen Schwerpunkt nicht beibehalten, sondern
Musik aus verschiedenen Epochen spielen.

BÜHNE: Im Mozartjahr singen Sie wieder Don Giovanni; warum nicht den Figaro-Grafen unter Harnoncourt?

HAMPSON: Ich singe den Grafen überhaupt nicht mehr. Ich habe lange mit Nikolaus Harnoncourt darüber diskutiert, wir sind ja sehr verbunden, und es tut mir wirklich leid, aber ich singe jetzt andere Rollen. Meine Zeit als Conte ist wohl vorbei, und das hat nichts mit meiner stimmlichen Entwicklung zu tun. Ich habe als Figaro-Graf an der Met debütiert und ihn 1988 mit Harnoncourt und Ponnelle in Zürich gesungen, das war eine phantastische Produktion. Ich halte Le nozze di Figaro für Mozarts perfekteste Oper, das gilt nicht nur für die Musik, sondern auch für das kongeniale Libretto von Da Ponte nach Beaumarchais’ vorrevolutionärer Komödie. Trotzdem bin ich nicht mehr so risikobereit, wieder einen neuen Versuch zu starten. Die Wiederaufnahme von Don Giovanni 2006 hingegen war immer geplant, und ich freue mich besonders darauf; ich bin überhaupt nicht Mozart-müde.